Rückwärts mit Lohnverzicht

  • Rudolf Hickel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Lohnzurückhaltung würde in dieser Krisenphase die Binnenwirtschaft nur weiter schwächen.«
»Lohnzurückhaltung würde in dieser Krisenphase die Binnenwirtschaft nur weiter schwächen.«

Mitten in der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise mehren sich die Hinweise: Statt aus den Ursachen für dieses Debakel zu lernen, zeichnet sich eine atemberaubende Rückkehr zur alten Party eines entfesselten Kapitalismus ab. Flugs tauchen auch wieder Forderungen nach Lohnverzicht durch die unbelehrbaren ökonomischen Quacksalber auf.

Die durch den Tarifexperten des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft angepriesene Lohndisziplinierung war der Versuchsballon für die Tarifpolitik im kommenden Jahr. Vorhersehbar ist: Wenn sich für Unternehmen mangels Aufträgen selbst die Kurzarbeiterregelung nicht mehr rechnet und deshalb im Herbst der Verlust an Jobs deutlich zunimmt, wird der Ruf nach Lohnverzicht durch die Wirtschaft und die sie beratende Ökonomenzunft nach der alt bekannten Tautologie lauter: Arbeitslosigkeit ist die Folge zu hoher Löhne, weil die Jobs immer nur dann verlorengehen, wenn die Personalkosten zu hoch ausfallen.

Dabei ist die aktuelle Krise wahrlich nicht durch zu hohe Löhne erzeugt worden. Daher lässt sich auch spiegelbildlich durch Lohnopfer nicht das Wirtschaftswachstum ankurbeln und ein Jobaufbau bewirken. Vielmehr haben viel zu hohe Renditeforderungen der gierigen Anleger zu dem Debakel geführt. Die Finanzmärkte haben diese in den Unternehmen der Realwirtschaft durchgesetzt – etwa 25 Prozent Gewinne vor Steuern auf das eingesetzte Kapital. Aber auch der Absturz der Exporte hat nichts mit dem Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit in Folge vergleichsweise hoher Lohnstückkosten zu tun. Die Ursache liegt im Zusammenbruch der Weltkonjunktur und damit der Nachfrage, zu der übrigens Deutschland mit seiner aggressiven Exportexpansion beigetragen hat. Der Preis der dafür bezahlt wurde, wird jetzt zum Verhängnis: Mit der moderaten Lohnpolitik zugunsten der internationalen Konkurrenzfähigkeit ist am Ende die binnenwirtschaftliche Konsumnachfrage geschwächt worden.

Lohnzurückhaltung würde in dieser Krisenphase die Binnenwirtschaft nur weiter schwächen. Entweder es werden die gesenkten Löhne zugunsten steigender Gewinne nicht in den Preisen weitergegeben und die Profite mangels Absatzerwartungen erneut an den Spieltischen des Kasinokapitalismus hoch riskant eingesetzt. Oder aber in der Konkurrenz setzen sich die einzelwirtschaftlich gewollten Preissenkungen auf breiter Front durch. Wegen sinkender Gewinnerwartungen würde auf Investitionen verzichtet, was zu Arbeitsplatzabbau führt. Nicht nur die deutsche Wirtschaft bewegt sich derzeit in einer von J.M. Keynes beschriebenen klassischen deflationären Situation.

Würde dagegen ausreichend Nachfrage generiert, dann würde das Angebotspotenzial inflationsfrei ausgeschöpft und dessen Ausweitung durch Investitionen wäre zu erwarten. Genau deshalb muss die Binnennachfrage auf zwei Ebenen gestärkt werden. Erstens: Da Löhne die Basis der Konsumnachfrage sind, werden an der Verteilungsgerechtigkeit ausgerichtete Tariflöhne ebenso benötigt wie die Deckelung des Lohndumpings durch flächendeckende Mindestlöhne und der Ausbau der Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit. Zweitens muss der Staat außerhalb der wirtschaftlichen Konkurrenz ausreichende Nachfrage zur Überwindung der tiefen Rezession entfalten – durch ein Zukunftsinvestitionsprogramm in den Bereichen ökologischer Umbau und Bildung. Aus der Wirtschafts- und Finanzmarktmalaise solche richtigen Schlüsse zu ziehen, hieße, künftige Krisen zu vermeiden.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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