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Schwarze Wolken über Laubenidyll

Die Kolonie Durlach in Wilmersdorf gibt es seit 1915 / Jetzt soll daraus Bauland werden

Protest am Gartenzaun: Plakat am Rand der Kolonie Durlach
Protest am Gartenzaun: Plakat am Rand der Kolonie Durlach

»Rosen veredeln ist eine Kunst für sich. Der ›Tauben-Paule‹ hat mir das beigebracht«, erzählt Helga Jastrow. Als sie die Parzelle in der Kolonie Durlach bekam, war er ihr Gartennachbar. Das ist nun schon 30 Jahre her. »Tauben Paule« war schon alt, starb alsbald, und Michael Lucas übernahm die Parzelle, der gegenüber der Kolonie in einem Mietshaus wohnt. Auch Helga Jastrow lebt mit ihrem Mann Klaus um die Ecke. »Was soll ich mit einer Parzelle weit draußen?«, fragt sie sich. »Mir ist es wichtig, dass ich abends zum Gießen von der Wohnung in den Garten gehen kann.«

Doch dieses Laubenidyll ist bedroht. Denn die Schutzfrist für die Kolonie Durlach läuft im kommenden Jahr aus, und eine Sitzung des Senatsausschusses für Stadtentwicklung Ende Mai hat die Gartenfreunde aufgeschreckt: Der hat einen Vorschlag des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf abgeschlagen, für die drei Kleingartenanlagen »Am Fenn«, »Durlach« und »Wiesbaden« die Schutzfristen bis 2020 zu verlängern. Geht es nach dem Berliner Liegenschaftsfonds, dann sollen diese innerstädtischen Grünanlagen vermarktet werden. Das bekräftigte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) nach Rücksprache mit dem Finanzsenat. »Insbesondere bei der Kleingartenkolonie Durlach handelt es sich um eine Fläche, die hinsichtlich der Lage und Grundstückssituation als sofort marktfähig eingeschätzt wird«, schrieb Junge-Reyer an den Ausschuss-Vorsitzenden.

»Wilmersdorf ist als Wohnort gefragt«, das weiß auch Klaus-Dieter Gröhler, Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Christdemokrat ist verärgert darüber, dass in seinem Bezirk erneut Parzellen abgeräumt werden sollen. Bereits im vergangenen Jahr traf es 99 Gartengrundstücke in der Kolonie am Stichkanal, wo das Elektro-Unternehmen Baumer-Hübner einen neuen Produktionsstandort aufbaut, und in der Württembergischen Straße sollen Ende dieses Jahres 50 Parzellen dem Wohnungsbau weichen, berichtet Gröhler. Auch die Gartenfreunde von der Durlacher Straße kennen das Szenario bereits. Denn ihre Anlage hat bereits zwei Drittel der Fläche eingebüßt, weil gebaut wurde. Übrig geblieben sind 20 Parzellen, die von hohen Wohnhäusern flankiert werden. »Wir mussten zusammenrücken«, erzählt Dorothea Pahl-Rugenstein. Die 82-Jährige ist die Seniorin unter den Kleingärtnern der Kolonie. Um die grundstückslosen Gärtner nicht zu verlieren, wurden die Grundstücke geteilt.

Peter Ehrenberg, Präsident des Berliner Landesverbands der Gartenfreunde, beklagt den Aderlass bei den Anlagen aus dem landeseigenen Besitz. »Bei vielen innerstädtischen Kolonien wurden die Schutzfristen zuletzt nur um fünf Jahre verlängert. Die Pächter haben keine Planungssicherheit mehr.« Dabei seien Kleingärten ein wichtiger Bestandteil der Stadtplanung, meint Ehrenberg, und außerdem sind sie wichtig als Staubfilter und Frischluftschneise fürs Klima. Der rot-rote Senat sieht im Verkauf landeseigener Grundstücke allerdings ein Mittel, um Geld in die leere Haushaltskasse zu bekommen. Dorothea Pahl-Rugen-stein ärgert sich hingegen darüber, dass gebaut werde, obwohl es keine Wohnungsnot gebe. »Auch das Haus, für das Anfang der 90er Jahre Parzellen weichen mussten, ist nicht vollständig vermietet.« Dafür hat die Rentnerin kein Verständnis.

6000 Unterschriften für eine Verlängerung der Schutzfristen bis 2020 haben die Kleingärtner aus Wilmersdorf bislang gesammelt. »In unserem Kiez haben wir die Leute hinter uns«, dessen ist sich Dorothea Pahl-Rugenstein sicher. Auch der Rat der Bürgermeister sei dem Einspruch von Charlottenburg-Wilmersdorf gefolgt, erklärt Gröhler, so dass der Senat über die Aufgabe der Kleingärten noch einmal beraten muss. Peter Ehrenberg setzt auf die Macht der Argumente. Jeder genieße eine grüne Stadt. »Garten statt Beton« heißt eine Losung auf einem Plakat, das am Zaun der Kolonie Durlach hängt. »Kleingartenanlagen abzuräumen sei eine der unpopulärsten Maßnahmen, die es in der Politik gibt«, findet Helga Jastrow. Ihrer Machtlosigkeit sind sich die Laubenpieper bewusst. Trotzdem wollen sie dem Senat ins Gewissen reden.

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