nd-aktuell.de / 10.08.2009 / Kultur / Seite 11

Was für ein Kind zählt

Homosexuelle als Adoptiveltern

Wolfgang Schmidbauer

Die Adoption eines Kindes durch ein lesbisches oder schwules Paar wird sicher ein seltenes Ereignis bleiben. Aber sie passt manchen Konservativen nicht. Diese begründen ihr Missfallen manchmal auch psychologisch. Ein solches Elternpaar schade der seelischen Entwicklung, denn homosexuelle Eltern würden sich Kinder aus egoistischer Bedürftigkeit zulegen. »Es geht bei dem Vorschlag allein um die Selbstverwirklichung von Lesben und Schwulen und nicht um das Wohl der Kinder«, tönte Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag, gegen den entsprechenden Vorschlag der Justizministerin Brigitte Zypries.

Bizarr ist hier die Unterstellung, dass sich heterosexuelle Paare Kinder vorwiegend (gar ausschließlich?) aus nicht-egoistischer Bedürftigkeit zulegen. Denn natürlich sind Adoptionen bei heterosexuellen Paaren nicht weniger komplex motiviert als bei homosexuellen. Wer die menschliche Psyche ein wenig ernst nimmt und es nicht vorzieht, ihre Realitäten zugunsten seiner Vorurteile zu leugnen, wird nicht so recht an die Abwesenheit egoistischer Motive bei Adoptionen glauben können.

Viele Menschen wollen Kinder. So lautet die geläufige Formulierung: Kinder sind unser kostbarster Besitz. Diese ursprüngliche, naive Haltung entwickelt sich in einer gelingenden Elternschaft durch den Austausch mit dem Kind zu einer Liebesbeziehung. Denn auch das Kind will ursprünglich ganz egoistisch versorgende Eltern. Wer hat also wen? Nicht die Verleugnung egoistischer Ansprüche, sondern der Austausch über sie entscheidet über das Schicksal einer Elternschaft. Nur so werden für beide Seiten befriedigende Lösungen gefunden und können sich festigen.

Die heroinabhängige 17-Jährige, der geltungsbedürftige Alkoholiker treten ihre Elternschaft ungestört an, wenn sie über minimales Geschick im Umgang mit Behörden verfügen. Adoptionseltern hingegen unterliegen strengen Maßstäben; die Jugendämter können wählerisch sein, weil hier das Angebot die Nachfrage übersteigt. Wenn die leiblichen Eltern versagen, dauert es meist viel zu lange, bis ein Kind zur Adoption frei gegeben wird.

Besonders unsinnig ist der Verdacht, homosexuelle Paare würden die Kinder in ihrer sexuellen Ausrichtung »prägen«. So schlicht funktioniert das nicht. Homosexuelle wachsen oft genug in heterosexuellen Familien auf und leiden dort unter dem Druck, ihre Neigung zu verbergen. Wer den Prozess der sexuellen Selbstfindung bewusst durchlitten und nicht in bequemer Anpassung an Norm und Mehrheit zurückgelegt hat, ist gewiss nicht grundsätzlich schlechter geeignet, seinen (Adoptiv)Kindern über die Klippen der Pubertät zu helfen. Bornierte Haltungen gibt es unter Lesben und Schwulen so gut wie unter Heterosexuellen; generell wahrscheinlicher sind sie dort nicht.

Nun gibt es auch längst empirische Studien, welche belegen, dass homosexuelle Paare als Adoptiveltern nicht öfter scheitern als heterosexuelle. Theoretiker und Praktiker der Erziehung sind sich darüber einig, dass Liebe und Einfühlung für Kinder wichtiger sind als eine äußerlich »normale« Familie.

Heterosexuelle Adoptiveltern machen es dem Kind, das bei ihnen aufwächst, vielleicht insofern leichter, als es glauben kann, in einer Familie wie alle anderen zu sein. Umso problematischer kann aber später die Informationspolitik werden. Immer wieder berichten verstörte Adoptivkinder, spät und traumatisch (etwa mitten in einem Konflikt, »du bist gar nicht unser Kind!«) über ihre Vergangenheit aufgeklärt worden zu sein. Lesbische oder schwule Paare können hingegen gar nicht anders, als sich früh mit neugierigen Fragen auseinanderzusetzen. Die homosexuelle Adoptionsfamilie ist etwas Besonderes, eine soziale Konstruktion eigener Art. Insofern schwieriger, aber auch anregender.

Noch eine weitere konfliktträchtige Situation kann die lesbische oder schwule Familie in der Regel vermeiden: Es gibt weniger Rivalität zwischen leiblichen und adoptierten Kindern. Zufriedene, liebende und entspannte leibliche Eltern sind gewiss das Beste für ein Kind. Wenn sie aber nicht da sind, würde ich aus psychohygienischer Sicht homosexuellen wie heterosexuellen Adoptiveltern jederzeit den Vorzug vor überforderten oder lieblosen leiblichen Eltern geben.