Die nicht Auswechselbaren

Traurig, aber wahr: Der Ammann-Verlag will Mitte 2010 schließen

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Alles hat seine Zeit« – so schließt die Mitteilung »In eigener Sache« auf der Website des Amman-Verlags. Egon Ammann, jetzt 68 Jahre alt, und seine Frau Marie-Luise Flamersfeld kündigen an, für das Frühjahr 2010 das letzte Programm vorzubereiten. Dass man sich mit einem besonders »schönen Programm« verabschieden wolle, wie sie dpa sagten, tröstet nicht. Die Buchbranche wird einen Ort verlieren, wo Literatur hochgehalten wird. Gewiss, es gibt noch genügend Verlage, die dem Flaggschiff Suhrkamp folgen und Ammann-Autoren mit Freuden an Bord nehmen werden. Zählt nicht letztlich das Buch, egal aus welchem Verlag es kommt?

Egal? Eben doch nicht so ganz. Denn aus einzelnen Textangeboten formt ein Verleger – und Egon Ammann ist ein solcher – ein Programm, das bei aller Vielgestaltigkeit doch kein Sammelsurium ist, sondern aus Einzelheiten einen Zusammenhang komponiert. Die Bücher werden bleiben, das Programm wird fehlen. Wo jetzt noch die Entschiedenheit einer literarischen Willenserklärung ist, wird eine Lücke sein.

Wenn jemand sich aus dem Berufsleben verabschiedet, zählt man ihm nochmal seine Verdienste auf. Im Falle von Ammann kommt eine lange Liste von Schriftstellern aus allen Erdteilen zusammen, die im Zürcher Haus entdeckt und gefördert worden sind. In 29 Jahren rund 1000 Titel: beginnend damals mit Thomas Hürlimann, der als »Hausautor« in der neuen Reihe »Ammanns Bibliothek« ab 18. August den Band »Dämmerschoppen« lieferbar hat, über Ulrich Peltzer, Ruth Schweikert, Christina Viragh bis zu Ursula Priess, der Tochter von Max Frisch, die jetzt mit »Sturz durch alle Spiegel« ein vielbeachtetes Buch über ihren Vater veröffentlichte. Der Verlag hat Bestseller produziert – etwa von Éric-Emmanuel Schmitt oder Jorge Bucay – und hat sich dabei immer wieder an Publikationen gewagt, die erst einmal kosten. Die Dostojewski-Neuübersetzungen von Swetlana Geier sind in erster Linie eine Kulturleistung ebenso wie die großen Ausgaben von Fernando Pessoa oder Ossip Mandelstam. Wer wagt sich an Baltasar Graciáns Monumentalwerk »Das Kritikon«? Ammann! Wenn man mit den beiden Verlegern spricht, fällt oft ein Wort, das es im Wirtschaftleben sonst kaum gibt: Liebe. Sie hätten sich verliebt in dieses oder jenes Buch. Die Begeisterung steckt an, garantiert aber noch keinen Großabkauf.

Es gab wirtschaftliche Schwierigkeiten – seit längerem schon. Monika Schoeller, Holtzbrinck-Erbin und S. Fischer-Verlegerin, ist seit einigen Jahren stille Mehrheitsgesellschafterin und hat den Verlag nach Kräften unterstützt. »Wir haben gegeben, was wir konnten«, so Egon Ammann gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung. Sie seien nicht besiegt, ergänzt Marie-Luise Flammersfeld, aber vom Siegen erschöpft.

Den üblichen Weg – Verkauf des Verlags oder Weiterführung durch andere Personen – ist Ammann nicht gegangen. Es wird Rechte-Übertragungen und die Betreuung der Backlist in anderen Editionshäusern geben. Den neun Mitarbeitern soll geholfen, anderswo unterzukommen. Aber selbst im Abschied steckt noch ein Ehrgeiz. »Unsere Handschrift ist nicht übertragbar«, so Egon Ammann gegenüber der FAZ.

Da wollen zwei nicht auswechselbar sein – und sind es deshalb auch nicht. Sie treten zur Seite, und unsereins scheint es wie ein Zeichen: dass die Auswechselbarkeit siegt. Dass Verleger aus Leidenschaft, wie sie die Geschichte des Buchwesens prägen, in die Minderzahl gedrängt sind. Dass Marketingleute die Macht übernehmen, die sich nie in ein Buch verlieben würden, sondern bloß danach fragen, in welchem Maße es verkäuflich ist. – Dass die Insel, auf der man sich selbst befindet, überflutet wird und man sich mit der Realität einer fremden Welt abzufinden hätte.

Schwarzmalerei, gewiss. Anspruchsvolles hatte es immer schwer und ist doch nicht verschwunden. Kleinverlage wachsen nach. Noch und noch. Halten sich mühsam über Wasser oder gehen unter. Junge Enthusiasten haben frische Kräfte. Und doch schicke ich nach Zürich einen traurigen Blick. Bleibt doch! – Und mache mir keine Hoffnung, dass sich an der Entscheidung noch was ändern lässt.

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