Kaufen ohne Nachzudenken
Die Einheit von Kapitallogik und Konsumverhalten
Dass die gegenwärtige Gesellschaft grundlegende Probleme wie Verteilungsgerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit nicht lösen kann, ist (zumindest unter Sozialisten) unumstritten. Wie Veränderungen erreicht werden können, wird dagegen immer wieder heftig diskutiert. Dabei ist die Frage nach der Alternative Reformen oder Revolutionen eher theoretisch. Beide Wege sind im Augenblick unrealistisch. Für grundsätzliche politische Reformen fehlen Mehrheiten genauso wie für Revolutionen.
Außerdem lassen sich wirtschaftliche Prozesse immer weniger mit politischen Entscheidungen beeinflussen. Die Selbstentmündigung vieler Parlamente ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass sie nur schwer rückgängig zu machen ist. Auch die PDS musste inzwischen schon feststellen, dass die Einflussmöglichkeiten von Politikern häufig überschätzt werden. Es steht auch die Frage, wie sinnvoll es ist, mit politischen Mitteln in ökonomische Prozesse einzugreifen.
Wenn selbst linke Politiker nicht viel am politischen System ändern können (oder wollen), wenn politische Einflussnahme auf ökonomische Prozesse schwieriger wird, warum wird dann nicht auf ökonomische Mittel zurückgegriffen? Leider wird die Macht der Konsumenten genauso häufig unterschätzt, wie die Macht der Wähler überschätzt wird. Es gibt mehr Möglichkeiten gegen die Marktmacht der Monopole, als gemeinhin angenommen wird. Gerade Markenfirmen sind mit Öffentlichkeitsarbeit sehr leicht zu treffen, denn sie leben von ihrem Image. PR-Arbeit gekoppelt mit konstruktiver Konsum-Verweigerung trifft die Firmen an ihrer empfindlichsten Stelle: dem Umsatz.
Zu DDR-Zeiten kursierte ein Witz über den tristen Inhalt der Regale in den Konsumläden: Konsum wurde buchstabiert als »Kaufe ohne Nachzudenken schneller unsern Mist«. Der Witz ist heute aktueller als in der DDR. Nur dass die Regale heute überquellen. Wer genauer hinsieht, was in den Supermärkten für Billig-Preise verkauft wird, wird feststellen, warum in Ostdeutschland alle Bekleidungskombinate abgewickelt wurden: Es werden Sachen angeboten, die in Asien und Lateinamerika produziert werden, zu Bedingungen überdies, die mit »unsozial« nur milde umschrieben sind. Nun gibt es immer wieder Proteste gegen diese Praktiken - die Mehrheit kauft aber weiter dort ein, wo es am billigsten ist. Dabei widerlegen schon die Arbeitsbedingungen im Supermarkt - Billigjobs am laufenden Band - die Idee einer »sozialen Marktwirtschaft«.
Wenn über 70 Prozent der Deutschen ihre Kaufentscheidung allein über den Preis treffen, warum sollen dann Betriebe, seien sie nun in Volkseigentum, Privathand oder Aktiengesellschaft, warum sollen all diese Betriebe dann sozial produzieren? Wenn es die Konsumenten nur theoretisch interessiert, ob Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden, warum soll es die Firmen interessieren? Dass solche Standards nicht zu bezahlen sind, ist ein Argument, das Gewerkschaftern vertraut sein sollte. Bei Tarifverhandlungen benutzen es die Arbeitgeber jedes Jahr aufs Neue. Wenn die Menschen zwar als Kritiker des Systems ein Gewissen haben, es als Konsumenten aber am Ladeneingang abgeben, warum ist es dann verwerflich, wenn Manager ihr Gewissen nur sonntags in der Kirche pflegen und es am Montag am Betriebstor abgeben?
Wo sind diejenigen, die im Supermarkt ihren Wochenendeinkauf erledigen und an der Kasse alle Umverpackungen und Mogelpackungen zurücklassen? Wo sind die Schulklassen, die ihre alten Turnschuhe bei Nike abladen? Wo sind die, die bewusst regionales Gemüse und regionalen Wein kaufen (und Ananas und amerikanischen Wein als die Ausnahme ansehen, als etwas, das nicht jeden Tag nötig ist)? Wo sind die, die im Supermarkt nur noch die fair gehandelten Produkte kaufen und die anderen links liegen lassen? Verbrauchergemeinschaften, die nicht gewinnorientiert arbeiten, beweisen, dass ökologisch erzeugte Produkte auch für Familien mit Kindern bezahlbar sind. Allerdings setzen diese Käufer auch andere Prioritäten. Ihnen ist Qualität wichtiger als niedrige Preise um jeden Preis.
Doch nicht einmal das Intermezzo Sozialismus hat an der Art zu konsumieren in der Masse etwas geändert. Die Art des Konsums war im Sozialismus so unsozial wie zu tiefsten Kapitalismus-Zeiten. Es gab nur einen Unterschied: Es war weniger da zum Konsumieren. Letztlich ist die DDR auch daran gescheitert, dass bestimmte Konsumbedürfnisse nicht befriedigt werden konnten, zum Teil auch solche, die von der Werbung des Westfernse-
hens suggeriert wurden. Die Macht der Medien führt dazu, dass einige Skandale schneller aufgedeckt werden als zu DDR-Zeiten. Aber die Skandale bleiben. Es ist nicht die mangelnde Kontrolle, die dem System fehlt. Es fehlen die Verbraucher, die sich gegen den Schwachsinn wehren, dass eine Banane billiger ist als ein Apfel. Dass sich einige wenige es nicht leisten können, auf die Herkunft der Produkte zu achten, mag sein. Wie kurz gedacht es aber ist, wenn nur auf die Marke und den Preis und nicht auf die Herkunft geachtet wird, sollten eigentlich gerade Ostdeutsche wissen.
Der Kapitalismus in seiner heutigen Form funktioniert ökonomisch nur, weil die Natur, die dritte Welt und die Frauen besonders extrem ausgebeutet werden. Wenn allen Unternehmen diese Möglichkeiten durch bewusstes Einkaufen versperrt werden, bricht das System ökonomisch zusammen. Erst da...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.