nd-aktuell.de / 31.08.2009 / Kultur / Seite 12

Bildermacher

Zum Tod des Regisseurs Horst E. Brandt

Ralf Schenk

Am Ende seiner Memoiren erinnerte sich der DEFA-Regisseur und Kameramann Horst E. Brandt an das, was ihm am Silvesterabend 1999 durch den Kopf ging: »Wir erheben«, so schrieb er, »unser Glas auf das neue Jahrtausend. Wir werden alten Zeitläufen nicht nachtrauern. Ich werde darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe. Rechtes oder Unrechtes unterstützt oder unwidersprochen zugelassen habe. Und ich möchte darauf hoffen, dass der Tag im 21. Jahrhundert kommen wird, an dem die historische Wahrheit unseres vergangenen Jahrhunderts eingefordert wird.«

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Horst E. Brandt am 22. August verstorben: ein Urgestein der DEFA.

Geboren im Januar 1923 in Berlin, hatte Brandt Feinmechaniker gelernt und nebenher Kurse für Amateurfotografie belegt. Nach Krieg und Gefangenschaft beschloss er, das Hobby zum Beruf zu machen: Er wurde Kameraassistent, lernte ab 1949 an der Seite von Altmeistern wie Karl Plintzner und avancierte nach dessen Unfall zum 1. Kameramann von »Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse« (1955). Ein Jahr später fotografierte er seine erste komplett selbständige Arbeit: das satirische Lustspiel »Junges Gemüse«. Mit dem Film, in dem Bürokratie und Schlendrian auf die Schippe genommen wurden, debütierten neben Brandt auch Günther Rücker als Autor, Günter Reisch als Regisseur und Alfred Hirschmeier als Szenenbildner: Künstler, die in den Folgejahren prägend für die DEFA werden sollten.

Für Reisch stand Brandt später noch mehrfach hinter der Kamera, beim TV-Mehrteiler »Gewissen in Aufruhr« (1961), bei der Komödie »Ach, du fröhliche ...« (1962) und dem Liebknecht-Epos »Solange Leben in mir ist« (1965). Daneben entwickelte er sich, an der Seite von Regisseur Heinz Thiel, zum Spezialisten für Krimis.

Eindrucksvoll und sichtlich an internationalen Vorbildern geschult, geriet »Reserviert für den Tod« (1963), der fast ausschließlich in einem Interzonenzug spielte und die Enge und Abgeschlossenheit des Schauplatzes zu beklemmenden Szenen nutzte. Eines der folgenden Projekte von Brandt, Thiel und ihrem Autor Gerhard Bengsch war dann »Die Beteiligten«, ein Projekt über einen Mord in einer DDR-Kleinstadt, in den fast sämtliche Honoratioren verwickelt sind. Unmittelbar nach dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 wurden die Arbeiten abgebrochen. Erst 24 Jahre später setzte Brandt, der nun seit langem auch Regisseur war, das nur leicht veränderte Drehbuch endlich um: ein kritisches Gesellschaftspanorama, das 1989 freilich zu spät kam, um noch Aufsehen zu erregen.

Hatte Brandt bei »Irrlicht und Feuer« (1966) begonnen, sich mit Heinz Thiel in die Regie von Filmen zu teilen, inszenierte er seit »Krupp und Krause« (1969) allein. Im Studio galt er als Mann für politische Produktionen, denen andere eher aus dem Weg gingen. Manche dieser Arbeiten betraten inhaltlich Neuland: »KLK an PTX – die Rote Kapelle« (1970) widmete sich erstmalig dem bürgerlichen Widerstand gegen das NS-Regime, »Zwischen Nacht und Tag« (1975) porträtierte den Schriftsteller Erich Weinert in der sowjetischen Emigration, auch in Tagen der Verzweiflung angesichts des Hitler-Stalin-Pakts, »Brandstellen« (1977) nach F. J. Degenhardt setzte sich mit der RAF auseinander. Brandt empfand diese Stoffe als notwendig, obwohl die Drehbücher mitunter künstlerisch unausgereift waren – oder besser: von so vielen Vorsichtigkeiten und Einsprüchen belastet, dass die Arbeiten mehr steif und verdruckst als spannend gerieten. Der Regisseur und manche seiner Vorgesetzten mögen gewusst haben, dass politische Filme bei aller Verbindlichkeit die Freiheit des Denkens und der Form brauchen – so wie es etwa Francesco Rosi in Italien vormachte. Das DDR-Kino bot diesem Genre leider keine wirkliche Heimstatt.

Nach 1990 drehte Horst E. Brandt keine Filme mehr. Neben seinen Memoiren »Halbnah – Nah – Total« (2003) legte er als seine letzte Arbeit ein Lexikon aller Kameramänner vor, die je für den DEFA-Spielfilm gearbeitet hatten: »Wir, die Bildermacher ...« (2007), ein fast 400 Seiten langes Kompendium, geschrieben gegen das schleichende Vergessen eines Kapitels deutscher Filmgeschichte.