Recyceltes zur Wahl

Sammlung alter und jüngerer »Stern«-Kolumnen mit Selbstlob des Autors

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 3 Min.

»Regierung verzweifelt gesucht« heißt der Titel des kurz vor der Wahl auf den Buchmarkt geworfenen Paperbacks. Und der auf dem Umschlag abgebildete Autor Hans-Ulrich Jörges ist nicht nur Lesern des »Stern« als Verfasser der wöchentlichen Kolumne »Zwischenruf aus Berlin« bekannt, sondern auch Fernsehzuschauern als Provokateur vom Dienst so mancher Talkshow.

Beides macht neugierig. Und sei’s, um zu erfahren, ob der Hauptstadtbeobachter der Illustrierten etwa der Meinung ist, die Bundesrepublik sei in den Jahren der Großen Koalition etwa nicht regiert worden.

Oder eben »nur« entgegen dem Wählerwillen. Schließlich ist nicht nur die Zahl der von CDU/CSU und SPD, zum Teil assistiert von FDP und Grünen, verabschiedeten Gesetze rekordverdächtig. Auch qualitativ gab sich »Schwarz-Rot« große Mühe, die von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) immer wieder per Ordre de Mufti oder gar »Vertrauensfragen« kommandierte »rot-grüne« Vorgängerregierung zu übertreffen. Das fing mit dem Wählerbetrug der dreiprozentigen Mehrwertsteuererhöhung nach Münteferings Wahlkampf gegen die »Merkel-Steuer« an und endete mit einer neuen Rekordzahl von Karlsruhe als verfassungswidrig kassierten Gesetze. Von der Abschaffung der »Pendlerpauschale« bis zur Degradierung von Bundestag und -rat zu Abnickmaschinen in Fragen der EU.

Seit 2002 schreibt Jörges »Zwischenrufe« beim »Stern«. Jetzt nachgedruckte Kolumnen tragen Überschriften wie »Gestatten: Gerhard Stoiber« und »Kreide macht schön!«. Damals waren sie aktuell und provozierend. Aber können sie sieben Jahre später erklären, warum der eine damals, der andere 2005 gescheitert ist? Oder nutzt dem Wahlwilligen des Jahres 2009, der noch nicht recht weiß, wen er wählen soll, vielleicht die Lektüre des Textes »Regierung der Besten« vom letzten Dezember etwas? Jörges vergleicht darin das von US-Präsident Barack Obama für seine Regierung rekrutierte Personal mit dem, das seiner Meinung nach Angela Merkel in ihre Regierung holen müsste: Friedrich Merz als Wirtschafts-, General Klaus Naumann als Verteidigungs- und Klimaforscher Hartmut Graßl als Umweltminister …

Natürlich nicht. Denn wie Obama muss auch Merkel sehen, wie sie sich Mehrheiten in der eigenen Partei wie im Parlament sichert. Nur schreibt das Jörges nicht. Sondern: »Da hilft nur beten. Obama sei bei uns.«

In diesen ins eigene Image verliebten Stil passt sowohl der »Das entmündigte Volk« betitelte Vorspruch, in dem Jörges Umfrageergebnisse über die Meinung der Bürger zum derzeitigen Politikbetrieb nimmt, um populistisch populäre Ideen zur Stärkung der direkten Demokratie als seine eigenen auszugeben. Getoppt wird das nur vom Selbstlob im Nachwort. Dieser einzige nicht recycelte 4-Seiten-Text des Bands ist überschrieben mit »Ein ungestopftes Maul«. Wer sollte das auch versuchen. »Provokateure« wie Jörges braucht diese Demokratur – und sei’s als Alibi.

Hans-Ulrich Jörges. Regierung verzweifelt gesucht, Econ, Berlin 2009, 302 S., br. 16,90 Euro

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