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Wohnungen der Worte

Vor fünfundzwanzig Jahren starb der Dichter Erich Arendt

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Er ist ein Fremder geblieben, bis heute. Seine Gedichte atmen auf engstem Raum Ferne. Real ist in ihnen, was gesehen wird, was einen Namen bekommt. Auch der Traum, auch der Albtraum.

Geboren wurde Erich Arendt 1903 in Neuruppin, der Stadt, die heute so stolz ist auf Fontane, die von dem Junggenie Georg Heym, der hierher von seinem tyrannischen Vater »verbannt« wurde wenig wissen will – was weiß sie von Arendt? Sein Vater war in Neuruppin Hausmeister in einer Schule, die Mutter Waschfrau. Man hauste in feuchter Kellerwohnung.

Sieht man Fotos dieses späteren Mannes von Welt, der immer überaus korrekt angezogen war, mit weißem Hemd, Anzug und Fliege, dann ahnt man, was für eine Lebensbürde ihm dieses Herkunftselend sein musste. Er debütierte 1925 in Herwarth Waldens »Sturm« und schloss sich drei Jahre später dem »Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller« an. Er wurde Kommunist, aber er wollte seine Vorstellungen über die Möglichkeiten der Kunst keinem politischen Dogma unterordnen. So schrieb er sich bereits hier hinein ins Abseits, in die Einsamkeit.

1933 emigrierte er zuerst in die Schweiz, dann nach Spanien (wo er nach dem Franco-Putsch als Übersetzer für die Interbrigaden arbeitete), floh nach Frankreich, wo er interniert wurde, kam mit seiner Frau Katja schließlich nach Kolumbien. Er lernte dabei die spanische Lyrik lieben (übersetzte Neruda), folgte ihren surrealen Metamorphosen bis hinein in die lateinamerikanische Dichtung. Das war die Wortwelt, die zu seiner Odyssee passte.

Als er 1950 in die DDR kam, war er missliebig von Anfang an. Denn Arendt hörte nicht auf, seine eigene Sprache zu sprechen, die oft nicht leicht zu verstehen ist – und die in den 50er Jahren unerhört provokant wirkte. Georg Maurer schrieb über die Ägäis-Gedichte: »... unvergängliche Kunst und rasende Zerstörung durchdringen sich oder prallen aufeinander. In einem großen Wellengang von Widersprüchen, die sich bedingen wie Berg und Tal, wie Leben und Tod, so geht es durch die weitgespannten Elegien, deren sinnliche Kennzeichen Licht, vulkanische Insel, abgründiges Meer sind.«

»Tolú«, seine Gedichte aus Kolumbien, »Feuerhalm», schließlich »Entgrenzen« (seine Altersgedichte), waren immer nur einem kleinen Kreis von Lesern wichtig, aber die konnten sie nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Und wieder war es der Rostocker Hinstorff Verlag und sein Führungsduo Kurt Batt und Konrad Reich, die dem Befeindeten – wie so vielen anderen im Zentrum der Kulturpolitik Beargwöhnten, von Fühmann, Plenzdorf, Fries bis Jurek Becker – eine Verlagsheimat boten.

Spanien an der Ostsee? Das Meer war für Arendt Metapher für Glanz und Abgründigkeit aller Sehnsüchte. Bei Hinstorff erschien dann 1968 der umfangreiche Band »Aus fünf Jahrzehnten. Gedichte von Erich Arendt«, mit einem Essay von Heinz Czechowski, später dann auch »Spanien-Akte Arendt«.

Was fasziniert an seiner Sprache, die ihn zu einem der wichtigsten deutschen Lyriker des 20. Jahrhunderts machte? Dass er sich den Eros der Worte von niemandem, keiner Ideologie, keinem guten politischen oder moralischen Zweck je abhandeln ließ, von kommerziellen Zwecken gar nicht zu reden. Arendt war auf hinreißende Weise kryptisch, gemessen an herrschenden Uniformitäten geradezu elitär, man musste sich mühen, in seine Wortwelten, die einen inneren Traumlogik folgen, einzudringen – und da war man immer nur ein kurzer, wenn auch reichlich beschenkter Gast. In dem Gedicht »Abseitshell« lese ich: »Wort / alt wie das Meer / sterblich / mit mir // daß sichtbar / sein Pulsschlag / mach hautlos / fest das Gedicht // fern sind die Schüsse / mauernarbend«.

Entgrenzen ist ein anderes Wort für verabschieden. Einsicht, dass dasselbe, das uns aus dem einen Unglück erlöst, schon das nächste heranbringt. »Entgrenzen« nennt Erich Arendt 1981 sein dichterisches Vermächtnis, das tief in die Sprache eintaucht, sie bündelt zu scharfen Splittern der Substanz, die sich dem Nacheinander des Sprechens sperrt. »Ins Offne/ ein Lichtverhaften« ist gleichsam des schmalen Bandes Schlussstein, der seine eigene Unmöglichkeit bezeugt. Das im Grunde Offene rundet sich nicht. Die Mehrräumigkeit des Wortes wächst hier.

In jedem Wort kehrt Anfang wieder und das Bewusstsein seiner Entfernung, ja seines illusionären Daseins. Das ausgesprochene Wort abenteuert durch unbekannte Gegenden. Die Wegverhältnisse jedoch zu verschiedenen Zeiten sind kaum vergleichbar. Darum sind die Bilder, die das Wort von seinem Gang mitbringt, nicht wiederholbar. Jedes Wort, das wir so auf den Weg schicken, fehlt uns. Und jede Mitteilung in Dichtung verschiebt die Balance zuungunsten des Verstummens, gefährdet – derart veräußerlicht – die Authentizität der Wahrnehmung. So ist jedes Wort Last, ja Bedrohung der dichterischen Substanz? Den DDR-Kulturpolitikern waren Arendts Worte zunehmend gefährliche Nebelbänke auf ihren Zensurschiffen von Parteitag zu Parteitag.

Seine Gedichte atmen Griechenland. Aber die ideale Einheit von Schönem, Guten und Wahren, wie sie einen geschichtlichen Augenblick die griechische Polis verkörpert, ist unwiderruflich dahin. In Erich Arendts »Starrend vor Zeit und Helle – Gedichte der Ägäis« (1980) kontrastieren Paul Eliasbergs labyrinthische Grafiken die karge Sprache. Gemeinsam ist ihnen eine verborgene Ordnung, die der Oberfläche als Chaos erscheint. Der hier enthaltene Essay »Säule Kubus Gedicht« zeigt den verlorenen Griechenlandliebhaber, der nur zu gut weiß, dass seine Gedichte nicht vom Anschauen der Landschaft leben, sondern von ihrer angeschauten Geschichte, dem gewordenen Gesicht dieser Landschaft. Erinnert auf Hiddensee oder anderswo. Darum zeitlos in die Zeit verwoben. Realistisch in seiner Naturferne, ähnlich in seiner Unähnlichkeit.

Die Geschichte von ihrer Leidseite her schreiben, sie im Schreiben nochmals erleiden. Aber so auch das überwindende Bild finden, das weiß: Es muss Bild bleiben, wenn es Fluchtweg sein will. Absage an die falschen Heilsversprechen.

Als Peter Huchel 1971 die DDR verlässt, lädt er den Freund Erich Arendt ein, fortan sein Haus in Wilhelmshorst zu bewohnen. Es wurde eine arkadische Zuflucht für den Außenseiter. Dem Altwerden entzieht er sich in seiner Sprache, die kein Klassikerpathos kennt, sondern – bei aller Melancholie – fantastisch verspielt bleibt. Am 25. September 1984 stirbt er.

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