nd-aktuell.de / 26.09.2009 / Politik / Seite 6

Der dritte Weg zwischen Abriss und Sanierung

Leipziger Wächterhaus-Modell stößt auch im Westen auf Interesse / Kommunalpolitiker lobt »dreifachen Nutzen«

Hendrik Lasch, Leipzig
In ostdeutschen Städte stehen viele Häuser leer. Bisher lautet die Alternative meist: Sanierung oder Abriss. In Leipzig wurde mit den »Wächterhäusern« ein dritter Weg entwickelt – der zunehmend auf Nachahmer stößt.

Manchmal zeigt sich ein Bewusstseinswandel schon in der Wortwahl. Im Leipziger Rathaus, hat Merte Stork beobachtet, »ist nicht mehr von Leerstand, sondern von Freiraum die Rede«, lobt die Görlitzer Studentin. Alte Häuser ohne Bewohner sehe man dort »nicht nur als Wohnraum, für den es derzeit keinen Bedarf gibt«. Sie sind, wie Juliana Pantzer sagt, vielmehr »Räume zum Experimentieren«.

Die beiden jungen Frauen formulieren damit eine Grundidee für die »Wächterhäuser«. Pantzer gehört zum Leipziger Verein »HausHalten«, der das Konzept ab 2004 entwickelte; Stork ist Mitglied der Initiative, die es jetzt auch in Görlitz umsetzt. Die Idee ist dabei so simpel wie überzeugend: Für leer stehende Gebäude werden Zwischennutzer gefunden. Sie schließen mit dem Eigentümer einen Vertrag, helfen bei der Instandsetzung, zahlen die Nebenkosten und nutzen die Räume als Ateliers, für soziale Projekte oder Vereine.

Nicht nur in Leipzig, wo hunderte Häuser aus der Gründerzeit unsaniert vor sich hindämmern, ist das Konzept erfolgreich. Für 13 Wächterhäuser hat der Verein 200 Nutzer gefunden, über 800 stehen auf der Warteliste. In zwei Fällen haben private Hauseigentümer das Konzept übernommen, ohne die Hilfe des Vereins in Anspruch zu nehmen. In Görlitz gibt es zwei Wächterhäuser, ebenso in Chemnitz, eines steht in Halle. Bei einer Konferenz, die bis gestern in Leipzig stattfand, zeigte sich zudem, dass es Interesse auch im Westen gibt: Zu Gast seien Initiativen aus Bremerhaven und Franken gewesen, sagt »HausHalten«-Sprecher Fritjof Mothes: »Die Probleme von Leerstand und Schrumpfung sind auch im Westen angekommen.«

Bisher gibt es auf den Leerstand vor allem in Altbauten zwei Antworten: Sanieren – was nicht immer hilft: In Görlitz fehlen für 30 Prozent der herausgeputzten Häuser die Bewohner – oder Abriss. So werden in Chemnitz reihenweise teils denkmalgeschützte Altbauten geopfert. Die Wächterhäuser zeigen aber, dass es »mehr gibt als diese beiden Alternativen«, betont Mothes: Die Häuser müssten nicht verwaisen, auch wenn Geld oder Nachfrage für die Sanierung fehlen.

Zumindest in Leipzig wurde das auch im Rathaus erkannt. Wächterhäuser brächten einen »dreifachen Nutzen«, so Martin zur Nedden, Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau. Gewinner seien die Eigentümer, deren Immobilie vor Verfall und Vandalismus bewahrt werde, die Nutzer, die Räume zu günstigen Konditionen erhielten, nicht zuletzt aber auch die Kommune: »Wichtige Häuser werden erhalten und Stadtviertel mit Leben erfüllt.«

Das zeigt sich um den Lindenauer Markt in Leipzig, wo mehrere Wächterhäuser stehen. Darin haben die Nutzer neben Vereinsräumen und Geschäften auch Galerien eingerichtet, weshalb in dem einst toten Viertel jetzt sogar Galerierundgänge stattfinden. Andernorts haben sich Stadtteilzentren, soziale Projekte oder sogar extravagante Geschäftsideen etabliert. In einem Wächterhaus werde eine Muschelzucht betrieben, berichtet zur Nedden: »Hier finden Menschen eine Aktionsmöglichkeit, die ihnen sonst wegen zu hoher Mietpreise verschlossen bleibt.« In den Wächterhäusern zahlen sie 1,50 Euro je Quadratmeter für Nebenkosten, so Mothes: »Aber es steckt auch Arbeit ohne Ende drin.«

Die Politik sieht in dem Konzept einen von vielen Wegen beim Umgang mit dem Leerstand: Während sich das Modell prinzipiell selbst trägt, wurde der Leipziger Verein in den vergangenen zwei Jahren gefördert, um seine Idee zu propagieren. Das hat Früchte getragen – etwa in Görlitz, sagt Merte Stork: »Uns hat ein Vortrag von HausHalten ermutigt.« Die Wächterhäuser wurden eröffnet, auch wenn aus dem Rathaus noch nicht so viel Rückenwind kam wie in Leipzig. Abwarten, sagt Stork: »Man muss den Verwaltungen Zeit lassen, sich an den Gedanken zu gewöhnen.«