Ex-Senator nicht allein zu Haus

Gesammelte Ratschläge und Erkenntnisse zum Problem der Unterschicht

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 5 Min.

He! Ihr da unten in der Unterschicht! Glotze mal ausmachen und herhören! Zieht euch warm an! Jahrzehnte lang habt ihr euch in der sozialen Hängematte geräkelt und seid dabei fett, dumm und faul geworden. Damit ist Schluss. Jetzt werden neue Saiten für neue Zeiten aufgezogen. Wie sagt es doch der Historiker Paul Nolte:

»Wir stehen vor einem Neubeginn, einem Paradigmenwechsel im politischen Umgang mit den Unterschichten.«*

Wie lange habt ihr und das Soziologenpack uns glauben lassen, dass ihr Opfer der sozialen Umstände seid! Aber der Journalist Walter Wüllenweber vom »Stern« hat uns endlich aufgeklärt und herausgefunden:

»Bislang glaubten Politik, Sozialwissenschaften und Gesellschaft: Die Lebensformen der Unterschicht und ihre Verhaltensweisen seien die Folge ihrer Armut. Genau das Gegenteil ist richtig: Die Armut ist eine Folge ihrer Verhaltensweise, eine Folge der Unterschichtskultur.«

Diese Erkenntnis ist so was von cool! Beim ollen Brecht muss es jetzt nicht mehr heißen: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Jetzt wissen wir, dass es andersherum läuft: Von der Moral hängt es ab, was so an Fressen vorbeikommt. Wenn es aber an der Moral liegt und nicht am Geld, dann kann das Geld auch ruhig ein bisschen weniger sein:

»Auf der Basis der von der Gesellschaft derzeit formulierten Ziele ist eher ein Absenken der Mindestsicherung als ein Anstieg gerechtfertigt«

... sagt zum Beispiel der Ökonom Friedrich Thießen von der Uni Chemnitz und meint, dass 132 Euro im Monat für einen gesunden Langzeitarbeitslosen reichen. Dann hockt die Unterschicht auch nicht mehr den ganzen Tag vor der Glotze und frisst Hamburger, wie Nolte meint. Freizeit kann ja auch so sparsam sein, sagt unser Professor aus Chemnitz:

»Freizeitgestaltung in Form von Gesprächen, Spaziergängen, Nutzung von Parks, Teilnahme an öffentlichen Festen etc.«

Ähnlich sieht es Bundesbanker und Genosse Thilo Sarrazin:

»Wir müssen in der Familienpolitik völlig umstellen: Weg von Geldleistungen, vor allem bei der Unterschicht.«

Weil, was dort fehlt, ist einfach Disziplin, klärt Wüllenweber auf:

»Armut macht also nicht krank. Der schlechte Gesundheitszustand der Unterschicht ist keine Folge des Geldmangels, sondern des Mangels an Disziplin.« Und: »Die Unterschicht verliert die Kontrolle, beim Geld, beim Essen, beim Rauchen, in den Partnerschaften, bei der Erziehung, in der gesamten Lebensführung.«

Zu diesem Problembereich haben wir in Deutschland allerdings einen reichen Erfahrungsschatz an staatlichen Maßnahmen, auf den wir aufbauen können:

»Die Unterbringung Arbeitsscheuer in das Arbeitshaus hat sich ausgezeichnet bewährt. Es sind insgesamt 46 Männer und 12 Frauen auf Beschluss des Herrn Regierungspräsidenten in das Arbeitshaus zu Breitenau eingeliefert worden. In einer großen Anzahl von Fällen haben wir nach der Entlassung eine Besserung des Arbeitswillens feststellen können« (Dezernent des Frankfurter Fürsorgeamts am 8. November 1938 an seinen Oberbürgermeister).

Zu eurer Disziplinlosigkeit gehört, dass ihr aus der Unterschicht dauernd rammelt, wenn gerade nichts im Fernsehen läuft, und so geht es nicht, wie Sarrazin meint:

»Es gibt das Problem, dass 40 Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden.«

Ist aber nicht sooooo neu, Herr Sarrazin, das wissen wir seit 1937:

»Während die gesunde dt. Familie, bes. der gebildeten Schichten, nur etwa zwei Kinder im Durchschnitt hat, weisen Schwachsinnige und andere erblich Lebensuntüchtige durchschnittliche Geburtenziffern von drei bis vier Kindern je Ehe auf«. (Meyers Lexikon, 1937).

So, jetzt wisst ihr Heloten aus der Unterschicht, was Sache ist in Sachen Moral und Sex und Suff und Fernsehen. Und jetzt sperrt mal gaaaanz weit eure Lauscher auf. Weil ihr euch vielleicht nicht nur warm anziehen, sondern überhaupt eure Sachen packen müsst. Besonders nützlich seid ihr ja gerade nicht:

»Eine große Zahl an Arabern und Türken, deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel.« (Sarrazin)

Gemüsehandel ginge ja noch, aber wir haben mit euch eben generell das Problem »einer am normalen Wirtschaftskreislauf nicht teilnehmenden Unterschicht.« (Sarrazin)

Da ist es doch nicht zuviel verlangt, wenn ihr endlich mal den Hintern aus dem Sofa hochkriegt und ein bisschen am normalen Wirtschaftkreislauf teilhabt. Und Peter Oberender, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Bayreuth, macht euch dazu einen wirklich realistischen Vorschlag:

»Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit zu einem geregelten Verkauf von Organen haben.«

Und auch wenn eure Leber zu versoffen ist und auch der Rest unbrauchbar, weil ihr ja so undiszipliniert seid, gibt es Möglichkeiten, wie Henner Schmidt, FDP-Fraktionsvize im Berliner Abgeordnetenhaus, angesichts der Rattenplage in Berlin vorschlug:

»Vor allem Leute, die sonst auch Flaschen sammeln, könnten dann für jede tote Ratte einen Euro bekommen.«

Ihr solltet im übrigen all diese Ermahnungen ernst nehmen, denn die Geduld unserer Eliten mit euch geht langsam zu Ende:

»Es ist eine Überlebensfrage für die gesamte Gesellschaft. Keine Volkswirtschaft kann es sich auf Dauer leisten, mehr als zehn Prozent durchzufüttern.«

... meint dann auch Stern-Journalist Wüllenweber, und Genosse Sarrazin ist mit dabei:

»Ich würde einen völlig anderen Ton anschlagen und sagen: Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest sollte woanders hingehen.«

Tja, Leute aus der Unterschicht, das hört sich nicht wirklich gut für euch an. Man glaubt, diesen Ton auch schon mal gehört zu haben. Zum Beispiel hier:

»Arbeitsscheue im Sinn dieses Erlasses sind Männer im arbeitsfähigen Lebensalter, deren Einsatzfähigkeit in der letzten Zeit durch amtsärztliches Gutachten festgestellt worden ist oder noch festzustellen ist, und die nachweisbar und in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben.« (Erlass »Schutzhaft gegen Arbeitsscheue, Januar 1938).

* Die Zitate im Text basieren auf frei im Internet zugänglichen Quellen und sind soweit möglich geprüft.

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