nd-aktuell.de / 10.10.2009 / / Seite 24

Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Hanjo Lucassen beschreibt den schwierigen Aufbau des DGB im Osten am Beispiel Sachsen

Hanjo Lucassen
Ein Rückblick auf die Anfangsjahre der deutschen Einheit beginnt bei mir immer am Abend des 9. November 1989, als ich nach Gesprächen in Westberlin die Maueröffnung erlebte. Der Anblick und die Stimmung von zigtausenden glücklichen Menschen ist ein Erlebnis, welches ich nie vergesse und glücklich bin, dabei gewesen zu sein ...

Später war ich als Personal-Chef des DGB für die Auswahl des künftigen Personals für die DGB-Gliederungen im Osten zuständig. Zunächst hatte der DGB in den künftigen neuen Bundesländern Kontaktbüros eingerichtet. Der DGB Bayern war für Sachsen zuständig. Im Herbst 1990, nach der Wiedervereinigung, fragte mich der damalige DGB-Vorsitzende Heinz-Werner Meyer, ob ich für einige Monate nach Dresden gehen könnte, um den DGB Sachsen aufzubauen. Damals wurde alles nur für kurze Zeit vereinbart. Der Glaube überwog, alles werde schnell geschafft und bald gebe es »blühende Landschaften«. Aber: Was es bald gab, waren hochdramatische Ausein-andersetzungen mit der Treuhandanstalt um den Fortbestand von Betrieben und Arbeitsplätzen.

Zunächst kam es darauf an, eine Mischung aus Ost und West für die neuen Strukturen des DGB zu finden. Die Arbeit des FDGB war mit der des DGB nicht zu vergleichen. Die Vereinbarung von Tarifverträgen, Verteidigung von Arbeitnehmerrechten, Verhinderung von Arbeitslosigkeit – all das erforderte einen Neuanfang.

Am Anfang standen weitere gravierende Fehleinschätzungen. 1,2 Millionen Mitglieder beim FDGB in Sachsen waren nicht zu halten. Das war fast so viel wie in Nordrhein-Westfalen. In der Realität gab es auch bei Gewerkschaftsmitgliedern viel Enttäuschung und Pessimismus. »Das geht alles den Bach runter!« oder »Das bringt doch alles nichts!« – diese Parolen schlugen uns häufig entgegen. Die Gewerkschaften hielten dagegen: »Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren«.

In diesem Bewusstsein gab es erfolgreiche Aktionen zum Erhalt von sächsischen Unternehmen. An eine sächsische Stahlindustrie hat, kurz nach dem verlorenen Kampf um den Stahlstandort Rheinhausen, niemand geglaubt. Aber die kampfbereiten Belegschaften der Stahlwerke Freital und Gröditz machten mit der Besetzung des Flughafens Dresden auf sich und ihre Arbeitsplätze aufmerksam. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf konnte erst landen, als er ein Versprechen zum Erhalt abgab. Heute sind die Stahlwerke in Gröditz und Freital Vorzeigebetriebe.

Die Belegschaft des Trabbi-Werks Sachsenring Zwickau hat machtvoll vor dem Berliner Treuhandgebäude demonstriert und das Büro des Zwickauer Oberbürgermeisters besetzt. Im Ergebnis entstand in Zwickau eine Beschäftigungsgesellschaft, die an die alte Automobilbautradition in Westsachsen anknüpfte. Tausende Menschen fanden so einen Neuanfang bei VW oder bei Automobilzulieferern.

Auch Unkonventionelles wurde versucht, um Betrieben zu helfen. Als die Schuhfabrik Meißen in Probleme geriet, haben wir einen Schuhverkauf in Gewerkschaftshäusern organisiert. Den Besuch der Treuhandchefin Birgit Breuel bei der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU in Dresden nutzten wir zu einer »Leistungsschau« sächsischer Produkte. Die Gewerkschaften riefen dazu auf, Ostprodukte zu kaufen, um die Blockade des Handels aufzubrechen.

Trotz des Kampfes der Gewerkschaften konnte der Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft nur abgefedert werden. Dieser Kampf hat wichtigen Betrieben eine Rettung ermöglicht. Der Gegenwind der CDU/FDP-Koalition in Bonn war schon damals stark. Mit der Idee einer Industrie-Holding reisten der IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel und ich sowie der damalige sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) zum ehemaligen FDP-Wirtschaftsminister Günther Rexroth. Wir bekamen eine drastische »ordnungspolitische« Abfuhr in Bonn. Die Gewerkschaften definierten dann mit der Staatsregierung »industrielle Kerne« in Sachsen und schoben Projekte an, mit denen Betriebe unterstützt wurden, die nicht bis zum Ende der Treuhand 1994 privatisiert werden konnten. Trotz mancher Unterstützung der Politik konnte alles nur erreicht werden mit den Menschen, die auf der Straße und vor Betrieben demonstrierten.

Diese Kämpfe bleiben in Erinnerung. Heute fehlt der deutschen Einheit immer noch die soziale Einheit. In den ersten zwanzig Jahren stand die Wirtschaft im Mittelpunkt – jetzt sind die Menschen dran. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West!