Alles, was entsteht, geht auch zugrunde

Christoph Hein über den Untergang der DDR und dessen Folgen, über Literatur aus dem Osten und den Umgang mit ihr

CHRISTOPH HEIN wurde 1944 als Sohn eines evangelischen Geistlichen mit vielen Kindern in Schlesien geboren. Seine Jugend wurde überschattet vom Verlust der Heimat. Wo immer er nach der Aussiedlung aus Schlesien auch hinkam, stets wurde er abschätzig als »Pfaffe« diffamiert. In der DDR bekam er keinen Platz an der Erweiterten Oberschule. Er ging nach Westberlin, um sein Abitur zu machen. Nach dem 13. August 1961 war ihm ein Weiterbesuch der Schule in Westberlin verwehrt. Ehe er zur Abendschule in der DDR zugelassen wurde, dauerte es zwei Jahre. Als er an der Filmhochschule studieren wollte, wurde er nach einer Woche wieder exmatrikuliert, »weil ein Minister etwas dagegen hatte«. 1967 begann er an der Universität Leipzig ein Studium der Philosophie und Logik, das er 1971 in Berlin abschloss. Schon mit zwölf Jahren hatte er angefangen zu schreiben. Seit 1979 ist er freier Schriftsteller und zählt mit seinen Romanen und Theaterstücken heute zu den wichtigsten deutschen Autoren der Gegenwart. Im Wendeherbst stand er auf Seiten der Bürgerrechtler, forderte am 4. November auf dem Berliner Alexanderplatz »einen Sozialismus, der dieses Wort nicht zur Karikatur macht«, obwohl dieser Traum, wie er einmal erklärte, für ihn schon 1968 begraben war. Die bundesrepublikanische Gesellschaftsform als nunmehr gesamtdeutsche begrüßte er nicht. »Unverwendbar für ideologische Zwecke – wer so war, der bleibt das auch«, konnte man anlässlich seines 65. Geburtstages in der Presse lesen. Das Gespräch mit Christoph Hein führte ADELBERT REIF.

ND: Herr Hein, welche Gedanken bewegten Sie, als vor zwanzig Jahren die DDR von der historischen Bühne verschwand?
Hein: Am 9. November 1989 war mir klar, dass die DDR verschwinden würde. Nur, wie dann tatsächlich so ein Staat aufhört zu existieren, der doch lange und weiträumig das Leben von Menschen bestimmt hat, das war schwer vorstellbar. Dass eine Weltmacht sich ohne Krieg und Gewalt von der Bühne verabschiedet, hat es bis auf das Römische Reich nie gegeben. Umberto Eco sprach davon, dass man die Auswirkungen des Zerfalls des Römischen Reiches noch 800 Jahre später verspüren könne. Er meinte, selbst den Zerfall der K.u.K.-Mo- narchie aus bestimmten Ereignissen des Zerfalls des Römischen Reiches herzuleiten. Ich weiß nicht, wieweit das korrekt ist. Aber der Zerfall dieses russischen Imperiums wird die nächsten 50, vielleicht sogar 200 Jahre bestimmen.

Friedrich Schorlemmer schrieb vor kurzem: »Mit Ende des Sowjetsystems verlieren d...



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