nd-aktuell.de / 11.11.2009 / Kommentare / Seite 8

Der nötige Schlussstrich

Jürgen Reents

Das »Fest der Freiheit« ist vorbei. Berlin, seine Regierung und auch andere in der Republik wenden sich wieder dem spröden Alltag zu. Doch werden weitere Feiern kommen: Aus dem 20. Jahr des Mauerfalls treten wir in wenigen Wochen in das 20. Jahr der »Deutschen Einheit«. Es steht also noch viel inszenierte Freude bevor. Im zeitlichen Abstand von zwei Jahrzehnten ist anderes als Inszenierung nicht möglich.

Die Freude vor 20 Jahren war nicht inszeniert. Sie war die selbstbewusste Begeisterung darüber, die Geschichte aus einer Erstarrung befreien, ihr einen neuen Lauf geben zu können. Mit dem Fall der Mauer brach ein politisches System zusammen, das die in ihm lebenden Menschen in ihrer großen Mehrheit nicht mehr ertragen wollten und seine Repräsentanten nicht mehr aufrechterhalten konnten. Der Begriff Revolution ist unter solchem Gesichtspunkt angemessen. Dass es eine friedliche war und blieb, markiert ihre historische Besonderheit. Sie ist vor allem jenen zu verdanken, die die Änderung erzwingen, aber keine Gewalt dabei anwenden wollten, angefangen bei den Montagsdemos, über die Demonstration der halben Million am 4. November auf dem Berliner Alexanderplatz bis zum gewaltfreien »Mauersturm« am 9. November selbst.

Solch friedliche »Wenden« gelangen stets nur, wenn es an den Schalthebeln wie im Getriebe der Macht Personen gab, die sie zuließen. Sofern es sich um Kommunisten im Ausland handelte, wird ihnen gedankt. An die Adresse von Michail Gorbatschow sagte Bundeskanzlerin Merkel: »Sie haben mutig Dinge geschehen lassen. Das war mehr, als wir erwarten konnten.« Ausgeblendet wird dagegen, dass der Mauerfall auch deswegen zum friedlichen Ereignis wurde, weil der damalige DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz zuvor zwei Befehle erlassen hatte: Verbote des Schusswaffeneinsatzes gegen Demonstranten und an der Grenze. Man muss nicht solch seltsame Worte verwenden wie die Kanzlerin – das sei »mehr, als wir erwarten konnten« –, um dies zu würdigen, als ob anderes ebenso hingenommen worden wäre, sondern nur diese historische Tatsache respektieren. Der Einwand, die Krenz-Führung habe nur unter dem Druck der Straße reagiert, ist dabei belanglos: Weit geringere Maßnahmen demokratischer Regimes – siehe die kleinen Korrekturen der Hartz-IV-Gesetze – kommen nur unter dem Druck der Straße zustande.

In die inszenierte Freude über den Mauerfall vor 20 Jahren mischt sich so weiter eine gar nicht inszenierte Unehrlichkeit. Da über Schlussstriche debattiert wurde: Unter die Geschichte brauchen wir keinen, unter ihre einseitige Verzerrung dagegen schon. Dann müsste der Bundespräsident auch nicht mehr ein »Wunder« nennen, was schließlich Vernunft auf mehreren Seiten war. Und bei der nächsten Feier gehörten Egon Krenz, Hans Modrow und der Oberstleutnant am Schlagbaum der Bornholmer Straße, Harald Jäger, ebenso auf die Gästetribüne wie Michail Gorbatschow und Miklós Németh. Als Zeichen dafür, dass die »Mauern aus Stein und in den Köpfen« (Klaus Wowereit) tatsächlich zu Fall kommen.