nd-aktuell.de / 16.11.2009 / Politik / Seite 8

Berlusconi macht seine eigenen Gesetze

Italiens Ministerpräsident will mit einem Schlag alle Verfahren gegen sich kassieren

Anna Maldini, Rom
Über 100 000 Menschen haben am Samstag in Rom gegen die italienische Regierung protestiert. Silvio Berlusconi unternehme in der Krise nichts, um die Arbeiter und Rentner zu unterstützen, sagte der Chef des größten Gewerkschaftsverbands CGIL, Gugliemo Epifani. Der Ministerpräsident hat derzeit auch alle Hände voll zu tun, um nicht im Gerichtssaal verurteilt zu werden.

Berlusconi kann es nicht lassen. Um zu verhindern, dass er in einem der vielen Prozesse, die gegen ihn laufen, verurteilt werden könnte, will er das gesamte italienische Justizsystem auf den Kopf stellen. Wenn es nach dem Gesetz geht, dass seine Mehrheit jetzt dem Parlament vorgelegt hat, werden nicht nur seine, sondern auch Zehntausende anderer Prozesse ausradiert werden. Und das nach Kriterien, die mit Rechtssicherheit überhaupt nichts mehr zu tun haben.

Dass in Italien Prozesse zu lange dauern, ist ein Fakt. Schon viele Male wurde das Mittelmeerland deswegen vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Trotzdem ist jedem klar, dass das neue Gesetz, das die Regierungsmehrheit auf den Weg gebracht hat und das die Prozessdauer auf insgesamt sechs Jahre beschränken will, nur einem einzigen Zweck dient: Die Verfahren gegen den Ministerpräsidenten ein für alle Mal zu kassieren. Sollte ein Prozess pro Instanz mehr als zwei Jahre dauern, so der Gesetzestext, wird er für Null und nichtig erklärt und also auch kein Urteil gefällt. Die Opfer können also auf keinerlei Gerechtigkeit hoffen. Das gilt für alle Delikte, die eine Strafe von unter zehn Jahren Gefängnis vorsehen; ausgenommen sind organisierte Kriminalität, Mord, Terrorismus und illegale Einwanderung, was ganz offensichtlich auf Betreiben der Regierungspartei Lega Nord eingefügt wurde. Das Gesetz gilt auch rückwirkend – zumindest für die Verfahren, die sich noch in der ersten Instanz befinden – und auch dann, wenn der Angeklagte nicht vorbestraft ist.

Im Klartext heißt das, dass Silvio Berlusconi mit einem Schlag seine Prozesse los wäre, denn die beziehen sich alle auf Korruption, Steuerhinterziehung und andere Finanzdelikte. Aber gleichzeitig wäre Italien auch auf einen Schlag eines der wesentlichen Prinzipien jeder Demokratie los, nämlich die Rechtssicherheit. Wichtige Prozesse, die auch in der Öffentlichkeit viel Empörung hervorgerufen haben, werden ausradiert, etwa der milliardenschwere Banktrott des Lebensmittelkonzerns Parmalat, bei dem Tausende Kleinaktionäre um ihre Einlagen geprellt wurden. Sie könnten dann natürlich auch keine Wiedergutmachung mehr erhalten. Wenn allerdings ein armer Schlucker einen Ladendiebstahl begeht, und vielleicht auch noch eine geringfügige Vorstrafe hat, dann nimmt die sogenannte Gerechtigkeit ihren Lauf.

Selten hat ein Gesetzesvorschlag in Italien so viel Entrüstung hervorgerufen. Die sonst immer sehr besonnene Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Senat, Anna Finocchiaro, schmetterte das Papier während einer Pressekonferenz an die Wand. Der Christdemokrat Pierferdinando Casini sprach von einer »Schweinerei« und die Richtervereinigung vom endgültigen Aus für die Justiz in Italien. Roberto Saviano, der Schriftsteller aus Neapel, der mit seinem Anti-Camorra-Roman »Gomorra« Weltruhm erlangte, startete im Netz eine Unterschriftendsammlung gegen das Gesetz, die innerhalb von wenigen Stunden von Zehntausenden unterzeichnet wurde.

Ob all das etwas ausrichten wird, ist aber zumindest fraglich. Die Regierungsparteien haben im Parlament die Mehrheit, um das Gesetzesvorhaben zu verabschieden. Möglicherweise wird der Staatspräsident das Gesetz erst einmal nicht unterzeichnen, was allerdings eher einen symbolischen Wert hat. Die »Prozessverkürzung« wird wahrscheinlich in Kraft treten und ebenso wahrscheinlich wird das Gesetz dann irgendwann vom Verfassungsgericht wieder verworfen werden. Aber Silvio Berlusconi wird dann sein Ziel schon erreicht haben: Die Prozesse gegen ihn sind abgeblasen worden. Ob und wie sie jemals wieder aufgenommen werden können, steht in den Sternen. Dem italienischen Ministerpräsidenten ist tatsächlich jedes Mittel Recht, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Auch die absolute Willkür im Bereich der Justiz.