Zeitreise durch ein Akustik-Denkmal

Ehemalige Mitarbeiter führen jede Woche durch die Welt des DDR-Rundfunks in der Nalepastraße

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine große Menschentraube hat sich vor dem Eingang des 13 Hektar großen Geländes an der Nalepastraße versammelt. Die meisten Besucher sind in der DDR aufgewachsen und können sich noch an viele Radiosendungen vor der Wende erinnern. »›Sieben bis zehn‹, ›Familie Findig‹ und ›Die Schlagerrevue‹ gehörten zu meinen Favoriten«, sagt ein älterer Herr. Schon damals beeindruckten ihn die dunkelroten Klinkerbauten, wenn er an dem riesigen Komplex vorbeifuhr. Gespannt erwartet er deshalb den Blick hinter die Kulissen.

Wolfhard Besser kennt das denkmalgeschützte Areal sehr genau und geht mit den Besuchern auf Spurensuche. 33 Berufsjahre hat der sympathische Berliner im DDR-Funkhaus verbracht. Er gehörte zu den 3000 Beschäftigten, die bis zur Wende Radiosendungen, Hörspiele, Konzerte oder Filmmusiken produzierten. »Es war eine tolle Zeit«, sagt der einstige Redakteur. Kaum zu glauben, dass er schon 71 Jahre alt ist. Wolfhard Besser wirkt immer noch jugendlich. Vielleicht liegt das daran, dass er viele Jahre lang Radio für Kinder und Jugendliche produzierte. Als ihn der neue Eigentümer des Geländes, die Keshet GmbH fragte, ob er Rundgänge übernehmen wolle, sagte er sofort zu.

»Es sind aber keine Architekturführungen«, betont er gleich am Anfang. Und erzählt im nächsten Atemzug, dass Franz Ehrlich 1951 unbeeindruckt vom Zuckerbäckerstil der Stalinbauten ein streng gegliedertes Gebäudeensemble mit langen Fensterfronten, Türmen und säulengetragenen Übergängen schuf.

Noch immer sehen die dunkelroten, kantigen Bauten imposant aus. Auch wenn große Teile leer stehen, ist trotzdem neues Leben eingezogen: »Rund 600 Menschen nutzen zur Zeit das Gelände«, berichtet Besser. Sie nehmen Hörbücher auf, produzieren Musik oder Agenturen, casten Sänger.

Die langen, scheinbar unendlichen Flure wirken dennoch verwaist. Holzschränke und Regale, die bis zur Decke reichen, säumen die schmalen Gänge. In kleinen Fächern lagerten einst tausende Musikkartons, als es noch Tonbänder gab, erfährt die Gruppe. Besser zieht ein altes Sendeband aus einem Karton und hält es in die Höhe. »Wir konnten damals ja noch Daten anfassen, sie zerschneiden und zusammenkleben«, sagt er. Natürlich wollen die Besucher auch ein altes Rundfunkstudio sehen. Zwar fehlt mittlerweile die Technik von einst, aber es ist trotzdem interessant: So stammen die dicken Schallwände noch aus der Anfangszeit.

Später steht Bessers Gruppe im Block B. Viel Licht fällt in das Foyer, und eine breite Treppe führt hinauf in den ersten Stock, in dem sich die berühmten Sendesäle befinden. »Architekt Ehrlich baute nach dem Haus-in-Haus-Prinzip, deshalb ist die Akustik hervorragend«, erklärt der ehemalige Mitarbeiter. Noch heute reisen Künstler und Orchester aus der ganzen Welt an. Sting, die Black Eyed Peas und Nena waren beispielsweise dort. Auch Daniel Barenboim spielte eine Platte ein, und im Januar wird Peter Maffay im Großen Saal proben.

Unendlich hoch erscheinen die Decken in dem Raum, in dem 250 etwas abgenutzte Cordsessel stehen. In einem warmen Braun schimmert das Parkett, das schon so viele berühmte Orchester betraten. Gerhard Steinke, ein ehemalige Akustiker, der an der Führung teilnimmt, meldet sich zu Wort. In Abstimmung mit den Tonmeistern habe man damals die Wände präpariert, »hinter den abnehmbaren Panelen mehr oder weniger Glaswolle verstaut«, sagt der Rentner.

Zum Schluss erfahren die Besucher noch, dass aus dem Funkhaus künftig ein Standort für Kultur, Medien und Musik werden soll.

Jeden Freitag finden um 15 Uhr kostenlose Führungen statt. Infos und Anmeldungen unter: www.nalepastrasse.de.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal