Inszenierter politischer Kälteeinbruch

Die Inselgalerie Berlin zeigt Werke von Margret Kohler-Heilingsetzer erstmals in Deutschland

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausschnitt aus »Kälteeinbruch«
Ausschnitt aus »Kälteeinbruch«

Gespenstisch irreal sind die Gestalten auf den Fotografien der Margret Kohler-Heilingsetzer, wie sie die Inselgalerie nun erstmals in Deutschland zeigt. Beflügelt sah sich die 1949 in Wien geborene Künstlerin zu ihrem Projekt, als in Österreich die rechte Partei des Jörg Heider 2000 beim Wahlvolk salonfähig für eine Regierungsbeteiligung geworden war. Donnerstagsdemos, nicht unähnlich den Leipziger Montagsdemos 1989, aber weniger erfolgreich als jene, waren die Folge – den Österreichern zur Ehre.

Der von Hofburg, Parlament, Rathaus, Burgtheater, Museen und Heldenplatz umgebene Volksgarten wurde für die Fotografin zum »Nachdenkraum«: in einem Land, das Autoren wie Thomas Bernhardt befehdet und einen Rechtsruck möglich gemacht hat. Seit dem 20. Jahrhundert ist der Garten ein Rosenpark; winters jedoch werden die Stöcke gegen die Kälte mit Jutesäcken verhüllt. Kohler-Heilingsetzers Streifzüge mit der Kamera durch das unwirkliche Reich trugen Früchte: 2006 entstand daraus die Ausstellung »Kälteeinbruch – Das Volksgartenprojekt«. Wobei Kälteeinbruch nicht nur die saisonalen, sondern mehr noch die politischen Veränderungen in einem Österreich mit Rechts-Anteilen in der Regierung meint.

Was im Theseustempel des Volksgartens seine Vernissage erlebte, an weiteren Orten zu sehen war und 2006 bei der Grafik-Triennale in Kraków einen Preis errang, hat Berlin erreicht: hoch stilisierte Kunst mit gesellschaftlichem Anliegen.

Über 20 großformatige Fotos, druckgrafisch umgesetzt, montiert und collagiert, umkreisen aus verschiedener Perspektive jene winterfest gemachten Rosenstöcke als einziges Motiv. Mit dem Trick einer Spiegelung der Sujets erreicht die Fotografin eine Symmetrie, die den Bildthemen zusätzliche Brisanz verleiht. So schaut »Heldenplatz« aus wie eine gewaltige Menschendemo, aus der Reiterdenkmale herausragen. Im Hintergrund umringen Bauten der Historie die Menge, den Vordergrund jedoch bilden verpackte Rosenstöcke: wie ein Heer geschlagener Krieger auf dem Rückzug. Schief als schwankten sie, zeigt sie »Rondo«, »Weg« platziert sie zu beiden Seiten eines Grabens wie verfeindete Armeen kurz vorm Gefecht. Auch die Unterserie »Burgtheater«, benannt nach dem monumentalen Gebäude, das die Szene begrenzt, simuliert die Aufstellung vor der Schlacht, konterfeit die Juteplastiken wie Mumien oder Beinamputierte in stummem Schrei, lässt Gestalten wie auf Beinstümpfen durch den Schnee zum Theater waten.

Auf »around City Hall« schleppen sich zwischen gespiegelten Kirchtürmen vor knorrigen Bäumen Besiegte vorgeneigt dahin.

Ein Fries von Wandlänge ist »Kälteeinbruch«: Vor Figuren differenter Höhe scheinen sich zweibeinige Stiere zu postieren. »Gestus imperiales« macht zwischen den dorischen Säulen eines Tempels die Verpackten klein wie demütige Pilger, »VIP – very important place« drückt sie in die Pose Knieender. Die beiden digitalen Fotografien »Museum’s aspects«, ohne den Grauschleier der Alugrafien und deshalb schärfer, arbeiten mit Schatten oder zeigen Gebrechliche, als habe General Winter sie geschwächt und mit weißer Mütze ins Glied beordert. Der Spiegeleffekt schafft perfekte Fotoinszenierungen etwa eines Militäraufmarschs, der auf exakte Formation noch beim Rückzug achtet, kriegerisches Pathos der Lächerlichkeit preisgibt. Wie sehr die individuelle Zufallshaltung der Plastiken Gram und Grauen des Besiegtseins assoziiert, erhebt die Fotos zu künstlerischen Zeitdokumenten.

Bis 21.11., Inselgalerie, Torstr. 207, Mitte, Telefon 279 1808, Informationen im Internet unter: www.inselgalerie-berlin.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal