nd-aktuell.de / 18.11.2009 / Kultur / Seite 13

Gott, so verwuselt?

Johannes Conrad:

Hans-Dieter Schütt

Er war ein Unentbehrlicher. Denn er gehörte zu denen, die Papst Urban VIII. ankleideten. Den Schlackernden, der in »seiner katholischen Unterwäsche« dastand, verwandelte er in einen Mächtigen – ein Lehrstück: Kleider machen Leute. In »Galileo Galilei«. Die Ankleideszene entlarvte den Klerus höllisch. Johannes Conrad (1929 bis 2005) war Schauspieler am Berliner Ensemble, ein Diener zweier Herren, Brecht und Wekwerth, und einer Idee: dialektischem Theater, in dem die großen, herumprotzenden Helden nichts waren ohne 15. Panzerreiter oder 29. Arbeiter und 57. Sklaven. So einer war Conrad, und in der Nebenberufung war er ein tolldreister Geschichtenerzähler, in dem dies wackere Schauspielerschicksal ebenso wummerte wie etwa – und da sind wir schon mitten in diesem kleinen Eulenspiegelband – das alltägliche Placken von Bruno Krampe oder Henry Balitzke oder Rudi Zietzel. Der wie Tucholsky Angst vor der Altersschwermut hatte – »dabei war Kurt Tucholsky aber wenigstens Kurt Tucholsky, er aber, Rudi Zietzel, war leider immer nur Rudi Zietzel!«

So hart ist das Leben in Conrads Nonsens-Novellen aus dem nachwendischen neugeputzten Altberlin, wo der Autor unterm Sternenhimmel »still wie eine Grützwurst« wird, weil dieser Himmel »so trostreich und feierlich über uns thront und die Schnauze hält«. O melancholische Momente am Kontoauszugsdrucker der Sparkasse, da man an Stephen Hawking und dessen Vermutung denkt, das ganze Universum sei mal eine Erbse gewesen – »die sicher nichts mit den für gebuttertes Schmorgemüse verwendeten Erbsen zu tun hatte, weil bei der Entstehung des Universums vermutlich noch keiner Appetit auf gebuttertes Schmorgemüse hatte, was nicht gerade ein günstiges Licht auf die Entstehung des Universums wirft«.

In Conrads Prosa ist weniger die Situation oder gar Handlung komisch, eher ist sie gebaut aus lauter Abweichungen vom nicht vorhandenen Thema; Conrad kommt vom Tausendsten, indem das Hundertste überspringt, gleich zum Ersten, nämlich den großen letzten Dingen. Etwa dass der Mensch leider älter wird, »aber der Tisch etwa nicht so sehr, obwohl er ebenfalls Beine hat und eine Platte wie Onkel Karl.« Ein Philosoph der Wernesgrüner Denkschule, die man Kneipe nennt. Sogar das Psychogramm seiner hitlerverführten Jugend kann Conrad wunderbar leicht erzählen, als »das Elbsandsteingebirge sowas Großdeutsches im Blick hatte«.

Fast in jedem Text kommt Gott vor, der sich mit der Erschaffung des Menschen wohl »verwuselt« hat. Der Dichter indes singt den Menschen, wie der sein Dasein wundersam tapfer lebt, mit Käsebrötchen, Millionen Stasiaktenschnipseln und hartleibiger Oma. Das Dasein, ja, diese Knalltüte, »rin in die Scheiße, raus aus der Scheiße, das ist das Leben, aber dazwischen duften die Rosen«.

Sich Conrad reinziehen, das ist wie Heidegger verstehen, ohne ihn lesen zu müssen! Wahre herrliche Volkshochschule!

Johannes Conrad: Zahm wie ein alter Frosch. Eulenspiegel Verlag Berlin. 128 S., brosch., 5,90 Euro.
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