nd-aktuell.de / 20.11.2009 / Politik / Seite 16

Verhandlungen ohne Beschäftigte

Der Konflikt um einen Tarifvertrag im Babylon Mitte stellt auch die Organisierungsfrage

Haidy Damm
In dieser Woche sollte es in die zweite Runde der Verhandlungen um einen Tarifvertrag für die Beschäftigten des Programmkinos »Babylon Mitte« gehen, das im Herzen der Hauptstadt liegt. Nun wurden die Auseinandersetzungen jedoch erstmal wieder vertragt.
Verhandlungen ohne Beschäftigte

Nach der ersten Verhandlungsrunde für die Beschäftigten des Kinos Babylon Mitte in Berlin Ende Oktober sprach Verhandlungsführer Andreas Köhn von einem »deutlichen Schritt in die richtige Richtung«. Ein Jahr Arbeitskampf und Auseinandersetzungen mit der Geschäftsführung liegen hinter der Belegschaft: Boykott, Aktionen, Versammlungen und Entlassungen oder nicht verlängerte Verträge auch von Betriebsräten. Nur: ver.di hatte mit alldem bis vor Kurzem gar nichts zu tun.

Als der Betriebsrat vor einem Jahr gewählt wurde, nahm er Kontakt zur Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU) auf. Die Missstände waren offensichtlich: Miserable Löhne, unbegründete Kündigungen und eine Atmosphäre, in der keiner, der seinen Job behalten wolle, es wagte, um Urlaub zu bitten. Die daraufhin gegründete FAU-Betriebsgruppe organisierte gemeinsam mit den Beschäftigten und dem Betriebsrat öffentlichen Druck und forderte die Geschäftsführung zu Tarifverhandlungen auf. Im Juni legte die FAU einen Entwurf für einen Haustarifvertrag vor.

Geschäftsführer Timothy Grossman lehnte Verhandlungen ab, weil die FAU seiner Meinung nach keine tariffähige Gewerkschaft sei. Diese Auffassung bestätigte das Arbeitsgericht Berlin im Oktober. Kurz zuvor war ver.di auf den Plan getreten, vermittelt von der Partei DIE LINKE, die als Regierungspartei in Berlin mit verantwortlich ist für das kommunal geförderte Kino. Ver.di schloss sich der Meinung des Arbeitsgerichtes an, erklärte sich aber bereit, mit der »sogenannten Gewerkschaft« (O-Ton Köhn im Neuen Deutschland) Gespräche zu führen.

Die FAU forderte ver.di auf, trotz des Urteils eine Tarifkommission zu gründen. Ihr Hintergrund: Sie habe über ein Jahr lang gemeinsam mit den Beschäftigten den Arbeitskampf organisiert und sei aufgrund der Mitgliederzahlen die Gewerkschaft mit dem höheren Organisierungsgrad. Die Belegschaft wollte, dass beide die Verhandlungen gemeinsam führen. Auch die später gegründete ver.di-Betriebsgruppe im Babylon hat sich für eine Zusammenarbeit ausgesprochen. Doch es kam nur zu einem Gespräch, bei dem sich beide Seiten darauf einigten, zumindest nicht gegeneinander zu arbeiten. Weitere Versuche scheiterten nach Aussage von Köhn daran, dass sich »die FAU nicht an Absprachen gehalten hat.«

Müßig herauszufinden, wer was wann gesagt oder unterlassen hat. Sowohl die gewählte Strategie wie auch das grundsätzlich unterschiedliche Verständnis von Betriebsarbeit bzw. die grundlegende Kritik zwischen DGB-Gewerkschaften und den Anarchosyndikalisten hätten gemeinsame Verhandlungen in jedem Fall schwierig gemacht. Die Vorwürfe der FAU gegenüber ver.di beziehen sich in erster Linie darauf, dass ver.di in Tarifverhandlungen geht, ohne die Forderungen mit den Beschäftigten abgesprochen zu haben und einen Tarifvertrag ohne betriebliche Basis durchsetzen zu wollen.

Nach fast einem Jahr Arbeitskampf eine bittere Erfahrung innerhalb der Belegschaft. Die FAU setzte zudem auf die Zusammenarbeit mit linken Gruppen in Berlin, die den Boykott mit eigenen Aktionen unterstützten. Eine Strategie, die bei den traditionellen Gewerkschaften nur sehr selten gewählt wird. Ver.di jedoch kämpft seit einigen Jahren zum Teil mit Erfolg dafür, den Flächentarifvertrag in mehreren Kinos umzusetzen. Generell nimmt allerdings die Bereitschaft für Branchentarifverträge seit Jahren ab. Eine organisationspolitische Antwort haben die DGB-Gewerkschaften darauf nicht.

Die FAU setzt dagegen auf Betriebskämpfe – was jedoch eine hohe Bereitschaft der Belegschaft voraussetzt oder eine starke Position innerhalb des Betriebes. Ob diese unterschiedlichen Auffassungen hätten überwunden werden können, bleibt nun dahingestellt.

Inhaltlich unterscheiden sich die Entwürfe für den Haustarif nur in einigen – teils aber entscheidenden Punkten. So fordert die FAU mehr Einkommensgleichheit zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen. Im Flächentarifvertrag ist das nicht vorgesehen. Außerdem sollen alle gewerkschaftlich oder im Arbeitskampf engagierten KollegInnen durch den Haustarifvertrag geschützt werden, nicht nur die ver.di-Mitglieder. Die Beschäftigten werden nach einem Jahr voller Auseinandersetzungen wohl erstmals einen Tarifvertrag bekommen. Auch ohne ihre Mitwirkung.

Ohne ihre Bereitschaft, dafür zu kämpfen, hätten sie ihn jetzt nicht.