Genossen mit Rückenwind

UNO-Genossenschaftsjahr 2012 soll Branche stärken

  • Hendrik Lasch, Delitzsch
  • Lesedauer: 3 Min.
Nachdem die UNO 2012 zum Jahr der Genossenschaften erklärt hat, hofft die Branche auch in Deutschland auf mehr Anerkennung. Neugründungen zeigen, dass die über 150 Jahre alte Idee langsam an Popularität gewinnt.

Der Ritterschlag erfolgte im Oktober. Auf der 64. Vollversammlung beschloss die UNO, 2012 als »Jahr der Genossenschaften« zu begehen. Die Wirtschaftsform, hieß es, leiste weltweit einen bedeutenden Beitrag zur Verringerung von Armut, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur sozialen Teilhabe.

Deutsche Genossenschafter sind über die Anerkennung sehr erfreut – und drängen darauf, die Chance zu nutzen, um die Idee der Genossenschaft auch in ihrem Mutterland stärker zu propagieren. »Die Idee von Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung ist höchst aktuell«, sagt Dietmar Berger, Präsident des Mitteldeutschen Genossenschaftsverbandes (MGV), am Rande des »Delitzscher Gesprächs«. Die jährliche Veranstaltung findet in der Geburtsstadt von Herrmann Schulze-Delitzsch statt, der 1847 eine erste Schuhmacher-Genossenschaft gründete.

Der Gründervater wurde bei der Veranstaltung mit dem Ausspruch zitiert, wonach »der Geist der freien Genossenschaften der Geist der modernen Gesellschaft« sei. Diese Idee sei zeitweilig als »etwas anachronistisch« empfunden worden, sagt Berger, der aber in Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise einen »Sinneswandel« konstatiert.

Auch die UNO begründet die Ehrung explizit unter Verweis auf die Krise. Vor deren Hintergrund solle mehr Aufmerksamkeit auf diese Wirtschaftsform gelenkt werden. Insbesondere die Rolle von Agrar- und Kreditgenossenschaften wird betont. Mit der Würdigung sollten Menschen zur Gründung von Genossenschaften ermutigt und die Politik angehalten werden, Gesetze und Regelungen zu verabschieden, die Bildung und Wachstum von Genossenschaften befördern.

Auch in der Bundesrepublik gibt es Nachholbedarf, so Berger. Zwar zeige die 2006 beschlossene Reform des Genossenschaftsgesetzes, mit der Gründungen erleichtert wurde, Wirkung: Allein im Gebiet des MGV wurden in diesem Jahr 25 Genossenschaften gegründet, 2008 waren es nur zwölf. Zudem gibt es Gründungen nicht mehr nur in Bereichen wie Handwerk, Handel und Landwirtschaft, sondern auch in der IT-Branche oder für Personaldienstleistungen. Noch immer gebe es aber keine Gleichbehandlung etwa bei staatlichen Beihilfen zur Existenzgründung.

Genossenschafter sind damit unzufrieden, auch weil sie ihre Unternehmensform bei der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme gegenüber gewinnorientierten Modellen im Vorteil sehen. Berger verweist beispielsweise auf Ärztegenossenschaften oder die Unterstützung alter und kranker Mieter in Wohnungsgenossenschaften.

Bei der nötigen Werbung für die Genossenschaften kommt der UNO-Rückenwind gerade recht, aber auch die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an Elinor Ostrom. Die Politologin aus Indiana hat sich intensiv mit Sozialkapital und Kooperation befasst. Seit zwei Jahren ist sie Ehrendoktorin der Humboldt-Universität Berlin, wo es das einzige universitäre Institut für Genossenschaftswesen in Deutschland gibt. Dessen Vorstandschef Berger will seine Arbeit im Genossenschaftsjahr stärker ins Bewusstsein rücken und fordert verstärkte, gut abgestimmte Forschung auch an anderen Universitäten. Zudem hofft er, 2012 eine internationale Genossenschaftstagung nach Berlin holen zu können.

Zunächst einmal soll freilich ein Komitee gegründet werden, um das UNO-Jahr vorzubereiten. Denn dessen Ausrufung allein, sagt Berger nüchtern, »bewirkt erst einmal noch gar nichts«.

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