nd-aktuell.de / 28.11.2009 / Kultur / Seite 36

Doppelagent wider Willen

Dara Horn im amerikanischen Bürgerkrieg

Friedemann Kluge

Kaum ein geschichtliches Ereignis hat sowohl in historiografischer als auch in literarischer Hinsicht eine so umfangreiche Würdigung erfahren wie der amerikanische Bürgerkrieg. Die amerikanische Autorin Dara Horn hatte den Mut, sich dieses Themas wieder anzunehmen, und fand einen Zugang zu den Ereignissen, der als neu und originell bezeichnet werden kann.

Aus einer staunenswerten Fülle von Quellenmaterial, das sie in ihrem Nachwort preisgibt, komponiert sie die Geschichte des jüdischen Einwanderersohnes Jacob Rap-paport, der sich während der Sezessionskriege als Spion zunächst der Nordseite verdingt, um sich am Ende in seinen privaten Angelegenheiten so zu verstricken, dass er zum Doppelagenten wider Willen wird. Zunächst von seiner – der nördlichen – Sache überzeugt, schreckt er vor einem Auftragsmord an seinem ihm durchaus wohlwollend zugetanen Onkel nicht zurück. Diesem die Sklaverei befürwortenden Südstaatenjuden kommt die Widersprüchlichkeit seines Handelns gar nicht erst in den Sinn. »Gab es etwas Seltsameres, als sich an Pessach, dem Fest der Befreiung aus der Sklaverei, zur Sederfeier zu setzen und sämtliche Gänge des Mahls von Sklaven auftragen zu lassen?« Exemplarisch zeigt die Autorin auf, wie die Fronten dieses Krieges keineswegs nur blitzsauber zwischen nördlicher Union und südlicher Konföderation verliefen, sondern quer durch die Ethnien, ja, quer sogar durch Familien und Freundschaftsbündnisse.

Jurek Beckers Roman »Jakob der Lügner« hat sein amerikanisches Pendant gefunden. Auch Dara Horns Jacob ist in diesem Lügengeschäft notgedrungen ein Lügner. Und bekanntlich gebiert eine Lüge die nächste(n), bis ein solches Geflecht entstanden ist, dass es schon eines Schwerthiebes bedarf, um sich daraus wieder zu befreien. »Lügen als Mittel zum Zweck war Jacob zur zweiten Natur geworden.« Wie kaum anders zu erwarten, wird die politisch-konspirative Handlung des Buches von einer verhängnisvollen Liebesgeschichte begleitet, die sich schließlich als jenes befreiende Schwert erweist, das den mittlerweile zu einem hässlichen Krüppel verkommenen Protagonisten den Weg ins Leben zurückfinden lässt. Aber es bleibt offen, ob es noch ein lebenswertes Leben sein wird.

Dara Horn zeichnet detailgetreu ein Bild menschlicher Unzulänglichkeiten. Gerade darum aber handelt es sich um ein menschliches Buch, ein bewegendes Buch und ein spannendes Buch, das aus der Hand zu legen mit jeder umgeblätterten Seite schwieriger wird.

Dara Horn: Vor allen Nächten. Roman. A. d. Am. v. Christiane Buchner u. Martina Tichy. Berlin Verlag. 477 S., geb., 22 €.