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»Wolfgang Mustermann« und sein »Requiem«

Eva Baronsky schickt Mozart auf eine Zeitreise ins Wien von heute

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 3 Min.

Das ist sicher jedem schon mal passiert: Man schlägt die Augen auf am Morgen und weiß nicht, wo man ist. Einem Prominenten geht es genauso: Wolfgang Amadeus Mozart – im Debütroman von Eva Baronsky »Herr Mozart wacht auf«. Nur dass sich Mozart nicht in einem fremden Bett wiederfindet, sondern in einem anderen Jahrhundert.

Zeitreisen sind bei Autoren immer wieder beliebtes Stilmittel, Geschichten unverkrampft zu erzählen und auf heitere Weise Gesellschaftskritik zu üben. Bei der 41-jährigen Innenarchitektin, Kommunikationsberaterin und Journalistin ist es aber noch mehr: Eine Liebeserklärung an einen der größten Musiker.

Nachdem der »compositeur« auf einer Matratze erwacht, offensichtlich nach einer durchzechten Nacht (das letzte, woran er sich auf seinem Sterbebett erinnert, ist der Aderlass), zunächst kotzt und dann in eine Teetasse pinkelt, ist er komplett irritiert. Auf einem T-Shirt entdeckt er die Buchstaben AC/DC. Er rätselt, was das heißen soll und kommt schließlich zu dem Schluss, dass das nichts anderes bedeuten kann als »Adorate, Cherubim, Dominum Cantu! Betet an, ihr Engel, den Herrn mit eurem Gesang.« Wie herrlich! Er ist glücklich und singt es gleich. Was Mozart in diesem Moment noch nicht weiß: dass er sich nicht im Wien des Jahres 1791 (sein Sterbejahr) befindet, sondern 2006 in einer Studenten-WG.

Aber Mozart ist schlau und begreift blitzschnell, dass er für verrückt erklärt würde, wenn er sagte, dass er derjenige ist, den die Welt und ganz speziell die Wiener nach wie vor vergöttern, dessen Werke hoch und runter gespielt werden, nach dem eine Süßigkeit benannt ist und über den massenweise Bücher geschrieben worden sind. Er leugnet seine Identität und wird Wolfgang Mustermann, den Namen hat er auf einem Zettel gelesen. Er macht Bekanntschaft mit der modernen Welt: Toiletten mit Wasserspülung, Straßenbahnen, elektrisches Licht, Kugelschreiber, Radios, Plastiktüten, Telefone, Autos. Mozart-Mustermann fühlt sich wie »ein Schauspieler, dem jemand inmitten des Theaterstückes die Kulissen gewechselt hatte«. Er versteht die neumodische Sprache nicht und wird ebenso wenig verstanden in seinem altertümlichen Kauderwelsch. Aber der »sonderbare Kauz« ist begabt, wie kein anderer, das bemerken sofort alle, die ihn spielen hören. Zum Beispiel Piotr Potocki, ein polnischer Straßenmusiker, in dessen selbst nur geliehener Wohnung sich Mozart-Mustermann einmietet. Ohne Piotr wäre der aus der Zeit Gefallene verhungert. Die Kunst ist nun mal der Wein des Lebens, aber nicht dessen Brot.

Doch wie könnte ein Mozart-Mustermann leben ohne seine Kunst? »Tief in seinem Herzen, tief in seinem Innern war Musik, nichts als Musik, und würde nie etwas anderes sein.« Die Autorin lässt ihren Helden in einem Nachtklub Jazz spielen, sie lässt ihn wild improvisieren und sie lässt ihn sinnieren über Komponisten nach seiner Zeit. Das gelingt ihr heiter, dicht und überaus kenntnisreich.

Die Musik ist der Leitfaden des Buches. Und je länger sich Mozart-Mustermann im falschen Leben bewegt, um so mehr verfällt er der Sucht, sein »Requiem« selbst zu vollenden. So wie Mozart sein letztes Werk aufgebaut hat, hat auch Eva Baronsky die Kapitel im Buch überschrieben: Kyrie, Sequenz, Offertorium ...

Und? Schreibt Mozart das »Requiem« zu Ende? Das soll nicht verraten werden. Zum Romanschluss nur so viel: Als sich Mozart stürmisch verliebt und seine Freundin ein Kind von ihm erwartet, offenbart er sich. Aber jemand, der 2006 sagt, er sei Mozart, dem glaubt man nicht, und sei er noch so begabt und der Beste im ganzen Land. Mit einem »Spinner« muss es ein schlimmes Ende nehmen.

Eva Baronsky:. Herr Mozart wacht auf. Aufbau-Verlag, 320 S., geb., 19 €.

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