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Die Verpflichtung

Wie aus Ilse Alisa wurde

  • Franka Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Anfangs beeindruckte mich nur das Neue: das gemeinsame Leben, die Gleichheit aller – die Arbeit wurde von allen abwechselnd verrichtet. Davon war ich sehr angetan. Ich fand es richtig, dass auch die privatesten Angelegenheiten, etwa das Kinderkriegen, gemeinsam diskutiert und entschieden wurden.« Alisa Fuss berichtet über ihre ersten Jahre in Palästina. »Es gab auch immer viele politische Diskussionen, man las viel, bis spät in die Nacht – über Sozialismus, besonders den utopischen Sozialismus, in dem wir uns wiederfanden …«

16 Jahre jung war sie, als sie mit dem Jugendaliya-Zertifikat nach Palästina aufbrach, Deutschland verließ. Ihre Eltern waren im selben Jahr, 1935, mit ihrem Bruder, der Großmutter und dem Onkel nach Uruguay vor den Nazis geflüchtet. Eigentlich wollten sie nach Palästina nachkommen, doch es kam nicht mehr dazu. 1940 starben die Eltern. Ihren Bruder traf sie erst 1980 in Buenos Aires wieder.

Sie hat über sich selbst nie viel geredet. Wer sie nach ihrem Leben fragte, »stieß schnell an eine Grenze. Kopfschütteln, Schweigen«. Gut, dass Barbara Heber-Schärer sich daran gemacht hat, diese bewegte Biografie aufzuzeichnen. Sie hat noch mit Alisa Fuss gesprochen und schöpft aus nachgelassenen Briefen, Dokumenten und Zeugnissen von Weggefährten, vor allem ihrer Freundin vom Lyzeum, Käte Weinhausen.

Die 1919 geborene deutsche Jüdin und schließlich israelische Staatsbürgerin ist 1976 in die BRD umgesiedelt, um als Lehrerin an der von Hartmut von Hentig gegründeten Laborschule in Bielefeld zu arbeiten. Nach ihrer Pensionierung zog sie nach Westberlin, wurde Mitbegründerin des Berliner Flüchtlingsrats und war bis zu ihrem Tod 1997 Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte. 1993 hat sie aus Protest gegen die neue, rigide Asylgesetzgebung ihr Bundesverdienstkreuz zurückgegeben.

Eigentlich hieß sie Ilse. Im Kibbuz wurde sie zur Alisa und zur politisch denkenden, selbstbewussten Frau. »In unserem eigenen Verständnis vom Kibbuz mischten sich zionistische und sozialistische oder auch kommunistische Elemente«, schrieb sie noch selbst in einem Bericht für die nun vorliegende Biografie. »Es wird oft so dargestellt, als sei der Kommunismus in Palästina nur ein Anhängsel der arabischen Nationalbewegung gewesen und hätte gar nichts anderes sein können. Er war es oft …« Doch: »Vor allem wuchs er organisch als Antwort auf die komplexen, unannehmbaren Bedingungen, die wir damals vorfanden.«

Detailliert wird das alltägliche Leben im Kibbuz beschrieben. Die oft harten Auseinandersetzungen werden nicht ausgespart. Geschildert werden die Begegnungen mit der arabischen Bevölkerung. »Wir hatten, aus Europa kommend, völlig unrealistische, romantisch verklärte Vorstellungen von den Arabern: entweder saßen sie in Beduinenzelten oder sie ritten mit gezückten Schwertern auf schnellen Pferden daher, oder ähnliches.« Die junge Alisa sah sich verpflichtet, Solidarität mit den ausgebeuteten arabischen Arbeitern zu üben, die ohne gewerkschaftliche Vertretung waren. Sie wurde Mitglied der KP Palästina, wird 1940 von den Briten verhaftet und ins Frauengefängnis in Bethlehem eingesperrt. Eine zweite Verhaftung erfolgt 1956. Der israelische Staat, dessen Existenzrecht sie, die Antizionistin, nie bestritten hat, verdächtigt sie und ihren Mann der Spionage für den »Ostblock«.

Besonders interessant sind die Begegnungen der Alisa Fuss mit berühmten Zeitgenossinnen, so mit Margarete Buber-Neumann. Trotz der »vielen Fehler und Schandtaten, die in der Sowjetunion und in den anderen sogenannten kommunistischen Ländern begangen wurden«, schwor Alisa Fuss nie ab. »Ich negiere diese Utopie nicht, weil ich die Gefahren und die ungeheure Brutalität der heutigen Gesellschaftsordnung sehe, die katastrophal ist.« Bewundernswerte Frau.

Barbara Heber-Schärer: Solidarität und Eigensinn. Das tätige Leben der Alisa Fuss. Berlin, Tel Aviv, Berlin. PapyRossa, Köln. 257 S., br., 18 €.

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