nd-aktuell.de / 28.11.2009 / Kultur / Seite 47

Der Weg in die Katastrophe

Das wilhelminische Kaiserreich

Baldur Kaulisch

Das deutsche Reich von 1871 bis 1918 war im Gefolge eines Krieges entstanden, und es ist im Gefolge eines Krieges untergegangen. Gegenstand des Buches von ND-Autor Gerd Fesser ist die Geschichte der zweiten Hälfte des wilhelminischen Kaiserreiches – so benannt nach einer seiner prägenden Gestalten: Kaiser Wilhelm II.

Dieser letzte Hohenzollernkaiser, der 1888 mit 29 Jahren den Thron bestieg, war ein Mann mit vielen Gesichtern. Unter Heranziehung einer Fülle von Urteilen, wie sie sowohl Zeitgenossen als auch Historiker abgaben, zeichnet der Verfasser ein recht plastisches Charakterbild dieses umtriebigen, geltungssüchtigen, sprunghaft oberflächlichen, rede- und reisefreudigen Herrschers und umreißt seinen – bis heute umstrittenen – politischen Einfluss. »Zu Großem sind wir noch bestimmt«, hatte Wilhelm II. am Beginn seiner Regierungszeit im Brandenburgischen Provinziallandtag geprahlt, »und herrlichen Tagen führe Ich euch noch entgegen«. Als sich seine Regierungszeit dem Ende näherte, herrschten Not und Elend in einem militärisch geschlagenen Deutschland.

Fesser geht verschiedenen Aktivitäten der deutschen Politik nach, zeigt Ursachen und Triebkräfte sowie ihre für das Kaiserreich verhängnisvollen Folgen auf. Beginnend mit der 1890 eingeleiteten Wende in der Außenpolitik spannt sich der Bogen über Betrachtungen zur deutschen »Weltpolitik« und Flottenrüstung, zu Machtrivalitäten der europäischen Großmächte sowie friedensgefährdenden Krisen und Zwischenfällen bis hin zur Julikrise von 1914. Es wird der Weg in den Ersten Weltkrieg und der besondere Anteil des Kaiserreiches an dessen Ausbruch nachgezeichnet.

»Deutschland im Ersten Weltkrieg« ist der letzte große thematische Schwerpunkt, der neben dem militärischen Verlauf die Innenpolitik und die Kriegswirtschaft, den Kriegsalltag und schließlich das Ende des Krieges zum Gegenstand hat. »Die Deutschen haben den Weg in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges nicht in erster Linie infolge übermächtiger Zwänge beschritten«, heißt es hier. »Sie wurden vielmehr von ihren leitenden Politikern auf die Bahn des Unheils geführt ... Die Akteure der deutschen ›Weltpolitik‹ waren ›Treiber‹ – und wurden doch selbst mehr und mehr von den Alldeutschen und anderen ›nationalen‹ Fanatikern getrieben ... Der Alldeutsche Verband fand bedeutende Förderer in den Regierungskreisen, der Militärführung und der Schwerindustrie.«

Drei Kurzbiografien stellen herausragende, im hier behandelten Zeitraum agierende Personen näher vor: Bernhard Fürst von Bülow, Reichskanzler von 1900 bis 1909; Erich Ludendorff, in der zweiten Kriegshälfte mächtigster Mann des Kaiserreiches; Philipp Scheidemann, einer der führenden Sozialdemokraten.

Die vorliegende Publikation fasst die bisherigen Forschungsergebnisse zusammen. Gut lesbar geschrieben und auch reichhaltig bebildert, bietet sie namentlich Lesern, die sich umfassend über das Kaiserreich informieren wollen, eine handbuchartige Grundlage.

Gerd Fesser: »Herrlichen Tagen führe Ich euch noch entgegen!« Das wilhelminische Kaiserreich 1890 -1918, Donat, Bremen. 286 S., geb., 18,50 €.