• Kultur
  • Bücher zum Verschenken 2009

Der Geburtshelfer

Friedrich Schorlemmer über den Menschenfreund Albert Schweitzer

  • Hartmut Kegler
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Name des Verfassers dieses Buches ist schon mal ein Gütesiegel. Er garantiert anspruchsvolle Literatur. Und in der Tat, auch diese neue Publikation von Friedrich Schorlemmer, diesmal eine Biografie von Albert Schweitzer, bestätigt dies erneut. Vorangestellt ist ihr mit Bedacht das Zuversicht vermittelnde Wort des Weisen aus dem Tropenwald: »Weil ich auf die Kraft der Wahrheit und des Geistes vertraue, glaube ich an die Zukunft der Menschheit.«

Schorlemmer leitet sein Buch mit den Worten ein: »Man kann es kaum glauben – es gibt sie, jene in sich stimmigen Menschen, die mit aller Konsequenz einem Lebensideal folgen, ohne dass sie selber Heroisches oder Heiliges, Überhebliches oder gar Eingebildetes an sich hätten … Solch ein Mensch ist der Friedensnobelpreisträger, der große Theologe, Bachkenner, Philosoph und Mediziner, konsequente Pazifist und unermüdlich für seine Lehre von der ›Ehrfurcht vor dem Leben‹ wirkende Dr. Albert Schweitzer, dem man nicht gerecht wird, wenn man ihn als den ›berühmten Urwaldarzt‹ bezeichnet. Das Zeitalter der Extreme hat ihn zu einem ›Genie der Menschlichkeit‹ reifen lassen.«

Leben, Denken und Wirken dieser Persönlichkeit werden, ergänzt durch vertiefende Exkurse in die Theologie, Philosophie und Zeitgeschichte, in engem Zusammenhang stehend beschrieben und erörtert. In Schweitzers Kindheit und Jugend, da dessen Begabungen und Charaktereigenschaften bereits erkennbar wurden, entdeckt der Autor die »Grundsteine zum Kosmopoliten«, zu dem jener in zwei Kulturen Aufwachsende lebte. Als die vier Säulen einer sich entwickelnden Ethik der Ehrfurcht führt Friedrich Schorlemmer mit der Theologie zunächst den historischen Jesus an, dessen Nachfolge nur im Sinne ethischen Handelns zur Erlösung führt. Dann folgt der Blick auf den Apostel Paulus als dem Gewährsmann für die Vereinbarkeit von Vernunft und Glauben im Christentum. Die dritte Säule besteht in der Musik Johann Sebastian Bachs, in der die Ethik der Nächstenliebe ein Zuhause fand wie Gott in der Kirche. Die vierte Säule stellt schließlich Schweitzers Nachfolge im Geiste Jesu dar, indem er den leidenden »Naturkindern« Afrikas zu Hilfe kam.

Dem Abschnitt »Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben« ist das denkwürdige Schweitzer-Zitat vorangestellt: »Der Geist gebietet uns, anders zu sein als die Welt.« Begründet wird die Pflicht zur Hingabe von Leben an Leben, was voraussetzt, dass wir bessere und tiefere Menschen werden. Der erschreckenden Erkenntnis des katastrophalen Kulturverfalls folgt der Entschluss zur »aufbauenden Arbeit« mit dem Blick auf das Morgen und Übermorgen, dessen denknotwendige und fundamentale Grundlage der Schlüsselbegriff »Ehrfurcht vor dem Leben« darstellt.

Schweitzers gelebtes Christentum im Tropenwald ist mit der ebenso aufopferungsvollen Mitwirkung von Helferinnen und Helfern sowie »Helfern der Helfer«, allen voran seiner treuesten Kameradin und Ehefrau Helene, verbunden, denen Schorlemmer würdigende Worte widmet.

Verdient breiten Raum gibt der Autor auch Schweitzers persönlichem Einsatz für den Frieden in der Welt. Er überschreibt diesen Abschnitt mit dem bezeichnenden Titel „Pazifismus und Humanismus mit dem Rücken zum Abgrund“ und sagt: »In der deutschen Nachkriegsgesellschaft verkörperte Albert Schweitzer einen Phönix, der aus der Asche hervor stieg. Schweitzer konfrontierte die Deutschen mit ihren Verbrechen, erteilte ihnen aber keine Kollektivschuld.« Nach langem Zögern und wiederholtem Zureden namhafter Persönlichkeiten entschloss er sich, öffentlich gegen den Wahnsinn einer atomaren Rüstung und eines Atomkrieges aufzutreten. Dann gäbe es keine Sieger, sondern nur Verlierer, der Mensch würde unweigerlich zum Unmenschen. In seiner zutiefst humanistischen und pazifistischen Grundhaltung wusste sich Schweitzer verbunden mit zahlreichen verdienstvollen Persönlichkeiten seiner Zeit wie Albert Einstein, Linus Pauling, Otto Hahn, Werner Heisenberg und anderen. In seinen Appellen über Radio Oslo beschwor er die Völker der Welt und die Regierungen, das Wettrüsten zu beenden und sich um gegenseitiges Vertrauen zu bemühen.

Auch in diesem Kapitel wird Schorlemmers geistige, religiöse und ethische Übereinstimmung mit Schweitzer deutlich. Er war es, der mutig dazu aufrief, »Schwerter zu Pflugscharen« umzuschmieden. Schorlemmer drohte dafür Verfolgung, Schweitzer erfuhr Verleumdung und Verhöhnung. Beide gerieten in das Visier von Geheimdiensten. Doch Schweitzers humanistisches Lebenswerk wurde mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt, »weil er in seinem Leben das humanistische Ideal und das Evangelium der Liebe verwirklicht hatte und den Menschen zeigte, dass der Weg zum Frieden … von diesen Idealen ausgehen müsse.«

Im abschließenden Kapitel »Elend und Armut der Welt« spricht einem der Menschen- und Bürgerrechtler Schorlemmer aus der Seele, wenn er ganz im Sinne Schweitzers bekennt: »Die Bedingungen, unter denen zwei Drittel der Weltbevölkerung leben müssen, sind ein zum Himmel schreiendes Unrecht.« Doch hoffnungsvoll stimmt die Aussage, die Jugend sei eine »utopische und moralische Kraft, die … in einer alten Welt, die mit der neuen schwanger geht, als Geburtshelferin in Erscheinung treten kann«.

»Schweitzers Leben stellt das unsere auf die Probe!« Dieses Buch liest man nicht nur einmal. Es ist ein Brunnen, aus dem man immer wieder neue Erkenntnisse und neue Zuversicht schöpfen kann. Es zeugt von Schweitzerschem elementarem Denken, wissenschaftlicher Tiefe und Redlichkeit sowie einem Herzen, das für das Ideal der Ideale, die Ehrfurcht vor dem Leben, schlägt. Unsere Welt braucht Menschen wie Schweitzer, aber auch solche wie Schorlemmer. Dieses Buch hat breiteste Beachtung verdient.

Friedrich Schorlemmer: Albert Schweitzer. Genie der Menschlichkeit. Aufbau, Berlin. 255 S., geb., 22,95 €.

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