• Kultur
  • Bücher zum Verschenken 2009

Wenn das Herz sagt: »Komm mit!«

Edith Rimkus-Beseler porträtierte DDR-Autoren

  • Walter Flegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor wenigen Tagen stand ich am Fenster eines freundlichen Raumes und wartete auf die 3. Klasse der Barnimer Grundschule, zu der ich für eine Lesung eingeladen war. Links von mir befand sich ein Bücherregal. Sobald draußen der Wind die Wolken auseinander trieb, fiel Licht auf die Buchrücken, und ich las Namen wie Benno Pludra, Peter Abraham, Christa Kozik, Brigitte Birnbaum, Alfred Wellm, Gerhard Holtz-Baumert oder Gotthold Gloger.

Ich zog das eine oder andere Buch heraus, berührte es wie etwas Vertrautes, das mir, je abgegriffener es aussah, umso wertvoller war. Die Titelhelden schienen mich zu begrüßen, wie Freunde einander begrüßen. Freunde, an die meine Kinder sich genauer erinnern als an manchen Klassenkameraden: Lütt Matten, Das Schulgespenst, Pinselheinrich und Zirri, das Wolkenschaf, Alfons Zitterbacke, Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart, Der Mann mit dem Goldhelm oder die Kinder von Pieversdorf. – In dieser Grundschule fand ich aufgehoben, was neunzehn Jahre zuvor »verschwunden wurde«.

Bücher können sich nicht wehren, wenn sie aussortiert und so dem Gedächtnis der Leser entrissen werden. Und die Lücken, die zurückblieben, werden seit Jahren ausgefüllt mit Bestsellern, die austauschbar sind wie die Ware »Fußballprofi«.

Es sei denn, jemand hört das Herz rufen »Komm mit« und bewahrt die Bücher in einem Schulregal, in einer Bibliothek oder in einer alten Burg wie Pfarrer Martin Weskott. Oder jemand fasst sich ein Herz und erinnert an Kinderbücher und ihre Autoren aus der DDR, wie Edith Rimkus-Beseler es tut. Ihr Buch habe ich wenige Tage nach meiner Lesung in die Hände bekommen. Es weckte Erinnerungsfreude und auch Melancholie, weil mancher von denen, die sie in Bildern und Texten porträtiert, nicht mehr lebt. Andere haben zu schreiben aufgehört, nachdem ihr Verlag verlorenen gegangen war und sie bis in die Seele verletzt worden waren. Aber ihre Bücher sind da, ihre Gedichte und Geschichten. Mit denen tritt die Autorin der Delegitimations-Polemik entgegen, ohne zu polemisieren. Erzählungen lässt sie sprechen, Sätze in guter deutscher Sprache. Kinder und Erwachsene kommen zu Wort, denen es an nichts fehlte, an Freude nicht und nicht an Leid. Die Enttäuschungen durchlebten und Mut besaßen, ihre Schwächen hatten und jede Nuance von Menschlichkeit kannten.

Wer wissen will, wie DDR außer all dem war, was ihr heute mit beschwörender Heftigkeit vorgeworfen und nachgesagt wird, der kann es hier finden. Edith Rimkus-Beseler verfügt über einen Schatz aus Erinnerungen und Begegnungen und jedes Stück, das sie aus der Truhe ans Licht holt, besitzt den unauslöschlichen Glanz ewiger Geschichten, gleich ob Roman, Erzählung, Gedicht oder eine der Strittmatterschen »Kleingeschichten«. Zu alldem hat Edith Rimkus ihre Fotos gesellt, menschliche Gesichter von Kindern und Erwachsenen, Bilder von Tier und Natur.

Sie hat ein Buch gemacht, für das es Zeit war. Ein Buch, das ermutigt, dessen Herzschlag ruft: »Komm mit«.

Edith Rimkus-Beseler: Komm mit sagte das Herz. Geleitwort Uwe Kant. Scheunen-Verlag. 315 S., geb., 24,80 €.

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