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Interkulturelle Suite

Der Klarinettist Giora Feidman verschmilzt Folklore, Klezmer und lateinamerikanische Musik

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn ein Konzert beginnt, erwartet man, dass der Musiker von der Seite die Bühne betritt, sich verbeugt und mit dem Spiel beginnt. Giora Feidman aber handhabt das manchmal anders. Er schleicht sich unbemerkt von hinten durch die Reihen der Zuschauer. Dabei spielt er ganz leise, so dass man ihn anfangs gar nicht wahrnimmt. Der große Klarinettist ist halt auch ein Mann der Show. Er liebt die kleinen Überraschungen und die großen Gefühle. Und auch die mit Gags gespickten, in holprigem Deutsch vorgetragenen Ansagen.

All das wirkt jedoch so bescheiden und sympathisch, dass man Feidman am liebsten bei der eigenen Familienfeier aufspielen ließe. Der Musiker brüstet sich nicht damit, als bedeutendster zeitgenössischer Klezmer-Interpret zu gelten. Dabei hat er – nahezu im Alleingang – die Volksmusik der osteuropäischen Juden durch seine modernen Interpretationen vom Image einer angestaubten Folklore befreit und dadurch ein Klezmer-Revival in die Wege geleitet.

Sein einziges Berlin-Gastspiel in diesem Jahr fand am Montag in der Philharmonie statt. Der Musiker reiste zusammen mit dem Gershwin Streichquartett an. Das hatte jedoch keine Kammermusik im Gepäck, wie man es bei der Besetzung von zwei Geigen, Bratsche und Cello vermutet, sondern begleitete Feidman zu Folklore, Tango, Gershwin-Klängen und Werken zeitgenössischer Komponisten von Unterhaltungsmusik. Eher eingängige, nicht allzu kompliziert Stücke waren das größtenteils, die erst durch Temperament und Spielfreude ihrer Interpreten zum Leben erwachen. Interessante Ausnahme: eine Rhapsodie des rumänischen Komponisten George Enescu, die Volksweisen derart verfremdet, dass sie wie durch ein Prisma verdreht und verzerrt erscheinen.

All diese Stücke ließen die Musiker fließend ineinander übergehen und verschmolzen sie so zu einer einzigen Riesen-Suite. In dieser Herangehensweise spiegelt sich Feidmans Biografie wider, in der sich ebenfalls die Kulturen vermengen: 1936 kam er als Sohn jüdischer Einwanderer in Argentinien zur Welt; er arbeitete zwei Jahrzehnte in Israel als klassischer Orchester-Klarinettist, zog Anfang der Siebziger nach New York und widmete sich fortan dem Klezmer. Immer wieder engagiert sich Feidman für eine Versöhnung zwischen den Kulturen – insbesondere zwischen Juden und Deutschen. Deshalb wurde er 2005 – auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes – zum Weltjugendtag in Köln eingeladen, um dort vor 800 000 jungen Katholiken aufzutreten.

Von Feidman stammt der Satz: »Es ist nicht wichtig, was wir spielen, sondern wie wir spielen – beseelt, mit Herz und Leidenschaft.« Der Klarinettist kombiniert nicht nur völlig unbefangen allerlei Stile miteinander. Zudem schmilzt er jede Art von Musik in seine ganz persönliche Spielweise ein. Eines seiner Markenzeichen ist das schwebende, fast am Verstummen entlangschlitternde Piano, das manchmal fast ein wenig manieriert wirkt.

Feidman vermag auf seinen drei Klarinetten verschiedener Tonlage eine außerordentliche Bandbreite an Emotionen hervorzurufen, die jener der menschlichen Stimme nicht nachsteht: von fröhlicher Ausgelassenheit bis zu melancholischen Seufzern, von lang ausgehaltenen Schmerzensschreien bis zum komischen Gegacker im tiefen Register. Und immer wieder bricht sich Feidmans Spielmannsnatur ihre Bahn. Dann stampft er mit dem Fuß auf, breitet die Arme aus und wirft schließlich die vom Veranstalter überreichte Blume einer Dame in der fünften Reihe zu.

Neben so viel Charisma schrumpft das Gershwin Quartett zur Begleitformation. Ohnehin stellt es bei etlichen Stücken nur einen flirrenden Klangteppich bereit, auf dem Feidman seine Klarinettenlinien ausbreitet. Das ist eigentlich schade, denn die vier Streicher vereinen sich zu einem warmen, weichen und homogenen Klang, aus dem der namensgebende Primarius Michel Gershwin und der temperamentvolle Cellist Kira Kraftzoff zuweilen in Solokantilenen ausbrechen. Aber selten nur kommt es zu einer wirklich gleichberechtigten Verzahnung von Streichern und Klarinette.

In der Zugabe nimmt Feidman wieder die Zügel in die Hand und spielt Astor Piazzolla – nach einer charmanten Verbeugung für den anwesenden argentinischen Botschafter.

CD-Tipp: Giora Feidman/Gershwin Quartett »Klezmer & Strings« (Pianissimo/edel)

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