nd-aktuell.de / 15.12.2009 / Brandenburg / Seite 14

Protest im Pumakäfig

Seit Wochen halten Studenten den größten Hörsaal der Universität Potsdam besetzt

Andreas Fritsche

Der Zug ist voll. Am Bahnhof Park Sanssouci steigen vornehmlich junge Leute aus. Noch etwas müde stapfen sie die Straße entlang, die zum Neuen Palais führt. Gleich daneben befinden sich Gebäude der Universität Potsdam. Dorthin wollen sie, zur Vorlesung, zum Seminar. Doch an die 50 Kommilitonen müssen diesen sonst für alle üblichen Weg nicht gehen. Sie schlafen im Audimax. Bereits seit dem 4. November halten sie diesen größten Hörsaal der Hochschule besetzt.

Die Universitätsleitung ließ deshalb auf einer großen Wiese am Rande des Campus ein Partyzelt aufstellen. Doch Feierstimmung will und kann in diesem 412 Sitze fassenden Ausweichquartier nicht aufkommen. Das Zelt ist zwar beheizt, doch die Motoren, die warme Luft hineinblasen, sie summen nicht nur, sie brummen durchaus. Es gibt nur Stühle. Wer sich Notizen macht, hält den Schreibblock auf den Knien. Als unzumutbar haben Mathematikstudenten die Verhältnisse in dem Zelt kürzlich bezeichnet.

Doch die Besetzer im Audimax geben nicht auf, denn unzumutbar sind die Studienbedingungen generell. Es fehlt zum Beispiel die Garantie, nach dem Bachelor-Abschluss einen Master machen zu dürfen. Zwar sollte auch der Bachelor einen Einstieg ins Berufsleben ermöglichen, doch die Praxis zeigt, dass Arbeitgeber abwinken, wenn der Bewerbung um einen qualifizierten Job kein Master-Zeugnis beiliegt. Außerdem darf ein Teilzeitstudium nur in seltenen Fällen absolviert werden.

Dabei arbeiten 65 Prozent der Studenten nebenbei, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nur 20 Prozent erhalten BAföG, erzählt Thomas Graf. Der 22-Jährige gehört zu den Besetzern. Er sitzt früh am Morgen an seinem Laptop in einem Konferenzraum unter dem Audimax, den die Besetzer ebenfalls in Beschlag genommen haben. An der Tür hängt ein Zettel mit der Aufschrift »Pumakäfig«. »Weil es hier manchmal so riecht«, erklärt Graf lächelnd. Schließlich stapeln sich in einer Ecke Matratzen und darauf liegen dicht an dicht Schlafsäcke.

Graf arbeitet, während die Kommilitonen noch träumen. Ab und zu kommt jemand aus dem Nebenraum, reibt sich den Schlaf aus den Augen und schlurft mit Zahnbürste und Zahnpasta zur Toilette. Graf grüßt kurz, dann optimiert er weiter die Internetseiten von Firmen. Sein Auftrag ist es, dass diese Seiten in der Trefferliste bei der Suchmaschine google möglichst weit vorn auftauchen. Graf muss etwas verdienen neben seinem Studium der Philosophie und der Volkswirtschaftslehre. Das Bafög reicht nicht. Die Mutter soll ihm laut Bescheid 300 Euro pro Monat von ihrem Einkommen abgeben. Dabei ist sie alleinerziehend und Thomas Graf hat noch eine Schwester, die bis vor kurzem ebenfalls studierte.

Ein echter Fortschritt wäre es, wenn das Teilzeitstudium generell zugelassen wird. Immerhin stellten SPD und LINKE jetzt im Landtag einen Antrag, der darauf abzielt. Er soll bei der Parlamentssitzung in dieser Woche behandelt werden. Das wäre dann endlich ein zählbares Ergebnis der Studentenproteste in Brandenburg.

Schließlich harren die Besetzer im Audimax seit Wochen aus. Anfangs dachten sie immer nur an die nächsten ein oder zwei Tage. Bald kommt sowieso die Polizei und wirft uns raus, meinten sie. Doch inzwischen planen sie eine kleine Silvesterfeier. Die Universitätsleitung greift wohl nicht zum Mittel der Räumung. Vielleicht hat das mit der rot-roten Landesregierung zu tun? Landtagsabgeordnete der Linkspartei bestärkten die Studenten geradezu, ihren Protest fortzusetzen. Ihr Anliegen sei richtig, bekamen die jungen Leute zu hören. Die neue Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD) zeigt sich immerhin verständnisvoll. Die Studenten erweisen sich als ungewöhnlich vernünftig. Im Audimax riecht es nach dem Nachtschweiß der Schlafenden, aber nicht etwa nach purer Freude am Stunk machen. Sie wollen lernen und sind nur sauer, weil ihnen das so schwer gemacht wird, weil die Bedingungen so schlecht geworden sind, wirklich schlechter, als sie in den 1990er Jahren schon waren.

Ein Streik sei das ausdrücklich nicht, was sie hier tun, betont Thomas Graf. Das würde doch auch nichts nützen und niemanden stören, wenn sie nichts lernen. Deshalb besuchen die Besetzer ganz normal ihre Lehrveranstaltungen. Zwischendurch und anschließend wird diskutiert und protestiert.

Die Besetzung sei auch keine Blockade, erklärt der Philosophiestudent. Dozenten, die bereit sind, vor ihrer Lehrveranstaltung ein kurzes Gespräch über den Sinn der Aktion zuzulassen, dürfen gern herein und ihre Vorlesungen halten. Von den knapp 20 000 Studenten der Universität Potsdam erhalten die 50 Beharrlichen im Audimax viel Zuspruch. »Es beteiligen sich nur leider zu wenige«, bedauert Graf.

Vom 18. bis zum 20. Dezember soll es an der Universität Potsdam einen Bildungsstreik-Kongress geben, zu dem rund 250 Studenten anderer bundesdeutscher Hochschulen erwartet werden. »Solche Phasen der Reflexion sind immens wichtig«, meint Claudia Fortunato. Die Landessprecherin der Linksjugend solid zählt zu den Besetzern mit und erklärt, man wolle schauen, »was wir bisher erreicht haben, welche Forderungen noch nicht erfüllt wurden und welches die nächsten gemeinsamen Schritte sein werden«. Claudia Fortunatos Mutter ist die Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato (LINKE).

Bei der Leitung der Universität fragten die Besetzer an, ob sie für den Kongress Räume am Neuen Palais nutzen dürfen. Katja Klebig, Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses, hofft, dass Universitätspräsidentin Sabine Kunst einverstanden ist.

An einer Wand vor dem Audimax hängt ein Brecht-Zitat: »Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und lässt andere für seine Sache kämpfen, der muss sich vorsehen, denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage...« Im Hörsaal läuft leise Musik. Ein junger Mann sitzt auf dem Podium an einem Laptop. Der nackte Oberkörper eines schlafenden Menschen ragt aus einem Schlafsack. Hinten hockt ein Mädchen, dass gerade wach geworden ist, und kramt eine Zigarette raus. Das Plenum abends dauerte wieder lange. Sonst ist im Audimax gerade niemand zu sehen. Derweil füllt sich das Partyzelt. Gleich beginnt dort eine Vorlesung.