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Gewichtiges Bildwerk

  • Wilfried Mommert, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieses »Berliner Bilderbuch« hat Gewicht und ist auch eine kleine Sensation: Der Doppelband »Die Stadt Berlin in der Druckgrafik 1570-1870« ist eine bibliophile Kostbarkeit und gleichzeitig eine Fundgrube für jeden Liebhaber oder Kenner der Berliner Stadtgeschichte. Sieben Kilo schwer und mit über 1500 Seiten will das »neue Standardwerk», wie der Berliner Lukas-Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte seine Neuerscheinung stolz ankündigt, erstmals so umfassend die Werke der grafischen Künstler ihrer Zeit mit den von ihnen geschaffenen Berlin-Ansichten vorstellen.

Darin enthalten ist auch ein informatives Künstlerlexikon mit 560 Kurzbiografien der Zeichner, Stecher und Lithografen. Künstler als Zeitzeugen sozusagen, die allerdings ihre Werke selbst oft nicht datierten und deren Lebensdaten daher für diesen Band genau recherchiert wurden. Ein zweiter Band bis zum Jahr 2000 ist geplant.

Seit Friedrich Nicolai (1786) sei das Wissen über die Arbeit dieser künstlerischen Stadtchronisten nicht mehr systematisch festgehalten worden, heißt es im Vorwort des Doppelbandes. Berlin-Grafiken aus unterschiedlichen Epochen als unschätzbare Zeitdokumente. Wer sich in diese Arbeit der Sammler Gernot Ernst und Ute Laur-Ernst vertieft, geht auf eine spannende Zeitreise und erlebt mit 4200 Grafiken und ausführlichen Erläuterungen eine lebendige Stadtgeschichte auch aus kultureller und wirtschaftlich-sozialer Sicht. Die jetzt präsentierten Arbeiten stammen aus der brandenburgisch-preußischen Epoche, in der sich Berlin auf den Weg machte, sich von einer kurfürstlichen Residenzstadt langsam auch zu einem politischen Zentrum – 1871 wurde Berlin schließlich Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches – und beachteten europäischen Kulturzentrum zu »mausern«.

Dass Berlin vor allem auch immer eine Stadt der Veränderung war, dokumentieren viele der hier festgehaltenen Stadtansichten aus früheren Jahren. Da gibt es die Stüler-Zeichnung über »den neuen Dom in Berlin« von 1865 gegenüber dem Schloss als Entwurf, der nie realisiert wurde. Stattdessen wurde anstelle des – immerhin von Schinkel – umgebauten Vorgängerbaus an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ein wilhelminischer Prunkbau als Hofkirche der Hohenzollern errichtet, die auf den Wiederaufbau des benachbarten Schlosses als städtebauliches Pendant noch eine Weile warten muss. Von 1862 stammt der Aquarell-Blick von Eduard Gaertner in die monumentale Säulenhalle mit dem Pharao in der Ägyptischen Abteilung des Neuen Museums, das nach den Kriegszerstörungen im vergangenen Oktober auf der Berliner Museumsinsel gerade erst wiedereröffnet worden ist.

Die Bilder zeigen das Auf und Ab vieler bedeutender Berliner Häuser wie zum Beispiel das Palais des Prinzen Heinrich Unter den Linden, in dem 1809/10 die Berliner Universität gegründet wurde, die seit 1949 Humboldt-Universität heißt. Aber natürlich geht es auch um viel »profanere« Stadtbilder, um das »Innenleben« der Metropole – wer wohnte wo und was geschah in den abgebildeten Häusern?

Der Doppelband ist ein fundierter Quellenschatz für Architekten, Denkmalschützer und Stadthistoriker zum Beispiel bei Stadtrekonstruktionsprojekten in der alten neuen Hauptstadt. Beigetragen haben dazu auch die Schätze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihrer Staatsbibliothek und ihrem Kupferstichkabinett und der Verleger Dieter Beuermann.

Gernot Ernst, Ute Laur-Ernst: Die Stadt Berlin in der Druckgraphik, Lukas Verlag Berlin, bis Ende 2009 190 Euro, danach 240 Euro

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