nd-aktuell.de / 22.12.2009 / Kultur / Seite 16

Kein Drama

Schaubühne Berlin

Gunnar Decker

In einem Radiogespräch zu »Prometheus, gefesselt« hörte ich Regisseur Jossi Wieler sagen, es käme ihm gar nicht so sehr darauf an, wie ein Schauspieler spreche, der Text (oder sagte er: »die Textur«?) sei schließlich in einem rhythmischen Fließen begriffen. Inszenieren als Komponieren? Das klang für mich eher nach Kapitulation. Unverständlich, wenn ein zu nuanciertestem Ausdruck fähiger Schauspieler wie Ernst Stötzner den Prometheus spielt.

Was passiert mit dem Theater, wenn es nicht mehr so wichtig scheint, wie ein einzelner Schauspieler seinen Text spricht? Der Abschied vom bisweilen denunzierend »Sprechtheater« genannten Anspruch bekommt so fast schon den Anschein eines Fußtritts. Aber vielleicht ist auch anderes gemeint: Die Worte sollen von selbst wachsen, so, wie es ihnen gefällt. Das klingt verführerisch freisinnig, so wie die Idee antiautoritärer Erziehung: Entlastung von jeglichem Zwang. Zweifel sind angebracht. Hat man vielleicht zugleich mit dem rhetorischen Korsett auch den Anspruch auf Wahrheit abgeworfen? Was wäre dann zu besichtigen außer falschen Befreiungen?

Die Szenerie an der Berliner Schaubühne (Bühne: Jens Kilian) demonstriert Symbolik. Prometheus versinkt fast darin. Wir blicken in einen Abgrund aus grauem Beton, in dem knöcheltief Wasser schwappt. Eine Wasserzelle, die manche Kritiker sofort an die Folterlager von Abu Gharib erinnerte. Prometheus, wie der gekreuzigte Jesus auf einem Podest erhöht als fleischgewordene Anklage, die Arme erhoben, mit schweren Ketten an den Fels in seinem Rücken geschmiedet. Viel Pathos liegt in dieser ausgestellten Szenerie – alle Ausdruckskraft verbraucht sich in Pose. Warum? Weil Wieler reflexartig immerzu Entmythologisierung betreibt, er das Bild des Prometheus in seiner ursprünglichen Gewalt nicht gelten lässt.

Kein Weg führt so zum Schmerz des die Last seiner selbst auf sich nehmenden Prometheus. Denn das ist er ja: gefesselt vor einer höheren Macht (Zeus!) stehend, sie jedoch nicht anerkennend. Eben weil er deren Terrorakte gegen sich erträgt, ohne abzuschwören, ohne bei Zeus um Gnade zu betteln oder sich für sich selbst zu entschuldigen – eben darum ist der Gefesselte dennoch der Freieste von allen. Ich denke, während ich Stötzner da vorn auf verlorenem Posten stehen sehe, an vieles, vielleicht an zu vieles: An Jesus am Kreuz, an einen Engel, dessen Flügel kettenbeschwert dennoch nicht zu Boden hängen, an einen tonnenschweren Schmetterling ...

Wieler hat die Fähre seiner Metaphern zu leicht beladen – sie treibt ab vom Wesentlichen.

So wirkt die irdische Auflehnungsgeschichte des Prometheus gegen den Himmel ebenso penetrant wie oberflächlich. Immer wieder muss ich, während unten im Bühnenorkus das Wasser fröhliche Untergangsgeräusche macht, an den jungen Goethe denken, der mit einer orgiastischen Prometheus-Selbstbejahung seiner Zeit den geballten Ekel entgegen wirft. Mit welch euphorischer Unbedingtheit (dagegen wirkt Wielers Deutung nicht etwa erfahrungsklug, sondern bloß altjüngferlich)!

Der autonome Mensch als Selbstretter aus den Fängen mitleidloser Mächte? Ein weites Feld. Heine und Nietzsche ahnten die Verlorenheit des Menschen unter einem Himmel, in dem keine Götter wohnen. Ein Jenseits gibt es nicht, der vollends aufgeklärte Mensch ist ein zur Gottverlassenheit verurteiltes Geschöpf. Er macht sich selbst zum Gott, der doch wieder nur ein Götze ist. Marx hat das Selbstentfremdung genannt.

Woher kommt sie denn, die sich immer wieder erneuernde Energie des Sterblichen, gegen das zu revoltieren, was ihn begrenzt? Prometheus weist auf die geheimen Kraftquellen jeder Revolte, die ohne Aussicht auf Sieg und dennoch notwendig ist. Was mit diesem Mythos hier auf dem Spielplan stehen sollte, ist das Drama der Freiheit.

Schade, dass Ernst Stötzner, dieser so großartige Schauspieler, an das Regiekonzept gefesselt, nicht zum Paradox eines befreienden Schmerzes des an den Felsen geschmiedeten Prometheus durchzudringen vermag. Der Titan, der den Menschen das Feuer brachte, lässt uns kalt im Dunkeln zurück.

Nächste Vorstellung: 23. 12.

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