Selbst gemacht, selbst getestet

Heimtests locken Verbraucher, sind aber meistens nur für Hersteller nützlich

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 4 Min.
Grippe, Krebs, Chlamydien – zahllose diagnostische Heimtests locken Käufer mit der Verheißung, den Gang zum Arzt zu sparen. Aber viele Produkte sind unzuverlässig, eine staatliche Kontrolle fehlt.

Der Mann mit dem Nutzernamen Tommy hat Angst. Kürzlich hatte er ungeschützten Sex, nun plagen ihn Halsschmerzen und Schwellungen der Lymphknoten. »Könnte es HIV sein?«, fragt er im Internetforum. Gewissheit bringen soll ein Diagnoseset zum Hausgebrauch. Der Verkauf von HIV-Tests an Privatpersonen ist in Deutschland zwar verboten, aber im Internet offerieren Firmen massenhaft Produkte zum Preis von 20 Euro.

Dass HIV-Tests in Deutschland nicht frei verkauft werden dürfen, hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Produkte nicht gut genug. »Die wenigen geprüften Heimtests haben nicht die Qualität, die sie haben sollten«, sagt Micha Nübling vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI). »Die Zuverlässigkeit entspricht bei Weitem nicht den Standards in Laboren.« Überdies fehlt bei der HIV-Heimdiagnostik auch die ärztliche Beratung. Man fürchtet, mancher Anwender könnte ein positives Resultat seelisch nicht verkraften.

In manchen Apotheken und Reformhäusern, vor allem aber im Internet werden zahllose sogenannte diagnostische In-Vitro-Tests legal zum Privatgebrauch feilgeboten. Damit kann der Nutzer – so versprechen die Anbieter – ermitteln, ob er Grippe, Darmkrebs oder einen Herzinfarkt hat, ob Entzündungen im Körper lauern, Magenkeime im Verdauungstrakt ihr Unwesen treiben oder freie Radikale die Zellen schädigen.

Die Qualität der Verfahren ist fraglich. »Die Tests sind so aufgebaut, dass sie bei Raumtemperatur ein schnelles Ergebnis zeigen«, sagt Nübling. Im Vergleich zur Labortechnik sei das immer ein Kompromiss. Schon daraus könne man ableiten, dass Heimtests nicht allzu gut sind. Schon bei normaler Influenza sind gängige Antigen-Schnelltests nur zu 40 bis 60 Prozent zuverlässig, betont Jan Felix Drexler von der Universität Bonn. Aber den Virologen überraschte, wie fehlerhaft sie bei der Schweinegrippe sind. In einer Studie an 144 infizierten H1N1-Patienten gab der Test in neun von zehn Fällen fälschlich Entwarnung. »Für Patienten sind Grippeschnelltests reine Geldverschwendung«, folgert Drexler. Trotz gravierender Mängel haben Hersteller weitgehend freie Hand. Während die Verfahren bis Ende der 1990er Jahre laut deutschem Arzneimittelgesetz zumindest teilweise überprüft wurden, vertraut die europäische Richtlinie 98/79/EG auf die Produzenten. Diese entwickeln ihre Geräte, testen sie selbst und reichen ihre Daten bei einer sogenannten Benannten Stelle wie etwa einem TÜV ein, die dann ein Zertifikat ausstellt. Ob ein Verfahren bestehende Krankheiten zuverlässig identifiziert und nicht vorhandene Leiden ebenso sicher ausschließt, können die Prüfer kaum einschätzen. »Das Zertifikat belegt, dass ungeschulte Personen mit dem Test umgehen können und dass die Packungsbeilage verständlich ist«, erläutert Nübling. Mit dieser Bescheinigung kann der Hersteller sein Produkt selbst mit dem EU-Konformitätszeichen CE versehen. Wie wenig aussagekräftig dieses vermeintliche Gütesiegel ist, zeigt ein Heimtest auf die sexuell übertragenen Chlamydien. In einer englischen Studie schlug das Verfahren bei infizierten Frauen nur selten Alarm, dafür umso öfter bei gesunden Teilnehmerinnen. Schon zwei Jahre früher war eine skandinavische Studie zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Daraufhin verschwand der Test zwar aus Apotheken, wird aber über das Internet weiter vertrieben und trägt immer noch die CE-Kennung. »Diese Situation weckt ernste Zweifel an der Regulierung diagnostischer Produkte, die über das Internet erhältlich sind, sowie an den Standards mancher Benannter Stellen, die das CE-Zeichen ausgeben«, bemängeln Mediziner der Universität Cambridge. Ist ein Produkt erst auf dem Markt, schüren die Anbieter in der Werbung gezielt die Angst der Verbraucher, wie der PSA-Heimtest zur Früherkennung von Prostatakrebs zeigt. In der Information »Lebensretter Prostatatest« wird der Leser mit übertriebenen Jahressterberaten (»alle 40 Minuten ein Mann«) zur Testbenutzung animiert. Der Test habe in den USA die Zahl der Todesfälle in einem Jahr um 25 Prozent gesenkt, wird behauptet. Das stimmt so nicht und der Nutzen des Verfahrens ist umstritten.

Daniela Hubloher von der Verbraucherzentrale Hessen zweifelt grundsätzlich am Sinn der Heimtests. »Das wahllose Testen ist völlig absurd«, sagt die Medizinerin. Ein falsch negativer Befund könne den Nutzer in falscher Sicherheit wiegen. Und bei positivem Resultat würde der Gang zum Mediziner sowieso fällig, betont Hubloher: »Da geht man doch besser gleich zum Arzt.«

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