nd-aktuell.de / 30.12.2009 / Politik / Seite 12

Huhn in Handschellen

Hamburger Häftlinge schreiben ein Kochbuch

Birgit Gärtner, Hamburg

In »Santa Fu« wird mit »heißer Ware« gehandelt – mittels Internet oder durch ausgesuchte Dealer. Die Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel in Hamburg entwickelten in »kreativen Zellen« originelle Produkte, die unter dem Lable »Santa Fu – heiße Ware aus dem Knast« vermarktet werden. Dazu gehören ein Memory-Spiel mit Tätowierungen der Häftlinge, ein Pflegeset »Bleib sauber«, oder das Ausbrecherspiel »Alaarm«. Und das Knast-Kochbuch »Huhn in Handschellen«.

»Im Knast wird gekocht?« fragte Wirtin Christa Mälzer erstaunt, als ein Gast ihrer ehemaligen Gaststätte »Oberhafenkantine« sie bat, mal einen Blick auf eine Rezeptsammlung zu werfen, die Häftlinge zusammengetragen hatten. Die Gastronomin und Mutter von TV-Starkoch Tim Mälzer sah sich die Sammlung an und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: in Santa Fu wird zwar einfach, dafür mit umso mehr Fantasie und Kreativität gekocht, vor allem aber international.

Die Rezepte waren überzeugend, trotzdem zögerte Christa Mälzer, als sie gebeten wurde, die Schirmherrschaft für ein Knast-Kochbuch zu übernehmen. Doch es gab noch ein überzeugendes Argument: ein Teil des Erlöses sollte dem Weißen Ring zur Unterstützung von Verbrechensopfern zugute kommen.

Pasta Depressiva und Mafia-Torten

»Huhn in Handschellen – Das Knast-Kochbuch mit Originalrezepten, die auch in Freiheit schmecken« enthält verschiedene, den Lebensumständen der Knackis angepasste Kapitel. Sie heißen beispielweise »Vor Gericht«, »Keine Gnade«, »Mildernde Umstände« oder »Süßer Trost« und sind Anleitungen für Vor-, Haupt- und Nachspeisen, die zum Nachkochen einladen.

Die Rezeptsammlung reicht von gebratenen Auberginenscheiben über Quarkklöße, Bratkartoffeln, Spaghetti (Pasta Depressiva), Pizza (Mafia-Torten), Wildsalat von Löwenzahn, Pfannkuchen und Arme Ritter bis hin zum Gänsebraten mit Rotkohl (Hohes Gericht).

Das klingt fast etwas banal, doch das Geheimnis der Knast-Küche ist auch nicht das Was, sondern das Wie. Die Küchen dort sind relativ einfach ausgestattet, die Einkaufsmöglichkeiten begrenzt, also ist Einfallsreichtum gefragt. »Zum Kochen haben wir für 25 Leute einen Herd und einen einzigen Topf. Und der Rest? Organisier es Dir, leih es Dir, improvisier! Kein Nudelholz für den Pizzateig da? Kein Problem: Nimm doch die Glasflasche ... oder die Thermoskanne. Zwei Gabeln zusammen ersetzen den Schneebesen. Improvisieren macht Spaß. Es muss ja nicht immer gelingen. Manchmal lernt man eben, wie man es lieber nicht machen soll. Dazu sind die meisten von uns sowieso hier«, schreibt Oliver P., einer der beteiligten Gefangenen-Köche, leicht selbstironisch.

Als Dank für ihre Mitarbeit an dem Knast-Kochbuch erhielt Christa Mälzer die, wie sie selbst sagt, außergewöhnlichste Einladung ihres Lebens: die an dem Kochbuch-Projekt beteiligten Häftlinge luden sie zum Essen ein – nach Santa Fu versteht sich, denn raus kann nur das Kochbuch, nicht die Köche.

»Ich bin völlig unvoreingenommen dahin gegangen. Als ich dann aber eine Schleuse nach der anderen durchlaufen musste und sich eine Stahltür nach der anderen hinter mir schloss, war das schon ein sehr beklemmendes Gefühl«, erinnert sich die Gastronomin. Trotzdem ist sie froh, diese ungewöhnliche Einladung angenommen zu haben. »Die angenehme Atmosphäre, in der wir da zusammen im Knast am Tisch saßen, machte mir wieder einmal klar, wie sehr doch gemeinsames Kochen und Essen das friedliche Zusammenleben fördert. Etwas Sozialeres gibt es nicht, weder vor noch hinter den Gefängnismauern«, schreibt sie in ihrem Vorwort zum Buch.

Rote-Bete-Saft statt Aquarellfarbe

Das Knast-Kochbuch ist ein literarischer Leckerbissen. Nicht nur wegen der bestechend einfachen, dennoch raffinierten Rezepte, sondern auch wegen der wunderschönen handgemalten Illustrationen von Sven Brauer, »freier Künstler, gefangen«. Auch er ist ein Meister der Improvisation, denn statt teurer Aquarellfarben muss er sich mit Ruß, Kaffee und Rote-Bete-Saft behelfen.

Das Kochbuch ist heiße Ware, mit der ganz legal gehandelt werden kann, es kann per Internet bestellt oder im Buchhandel erworben werden.

Infos unter: www.santa-fu.de[1]

Huhn in Handschellen, Edition Temmen, Bremen; 96 Seiten, 61 farbige Abbildungen, 16,90 Euro.

Erhältlich im ND-Shop[2].

Links:

  1. http://www.santa-fu.de
  2. http://www.nd-aktuell.de/shop/article/853369