Aus Sonne ... ...in die Kälte?

Heute vor fünfzig Jahren starb Albert Camus - Präsident Sarkozys Versuch, ihn ins Panthéon zu holen

  • Lesedauer: 7 Min.
"Die Macht lässt sich nicht von der Ungerechtigkeit trennen. Die gute Macht ist eine gesunde, umsichtige Verwaltung der Ungerechtigkeit." (Camus)
"Die Macht lässt sich nicht von der Ungerechtigkeit trennen. Die gute Macht ist eine gesunde, umsichtige Verwaltung der Ungerechtigkeit." (Camus)

Von Hans-Dieter Schütt

Die Rechte hat ihn verhöhnt als den »Mann mit dem Gewissen zwischen den Zähnen«, die Linke warf ihm Flucht vor, »aufs nebulöse Inselreich eines schönen Stils«. Der Elegante des hochgeschlagenen Mantelkragens. Er war Aufklärer im Sinne der positiven Enttäuschung; wo die Vernunft ein Ja versuchte, setzte er ein Nein und sah es nicht als Zeichen der Kapitulation. Er sah, wie sich die politischen Ideen des Jahrhunderts mit einer Handschrift aus Kälte und Härte ins Wirkliche einschrieben. Dabei empfindsam zu bleiben, war ihm die wahre utopische Haltung. Die Sinne geschärft zu halten für ein Glück, das nicht kommt – Bereitsein aber schützt vor ärgster Verrohung, und immer ist diese Haltung ein Auftrag zur Einsamkeit. Brüderlichkeit ist wünschenswert, aber in unser aller Leben bleibt sie die innerste Mitte des Geheimnisses von Existenz. Traurig absurd.

Er wurde 1913 in Algerien geboren, Sohn armer Eltern. Das Studium der Philosophie musste er abbrechen, der Alltag forderte das grundsätzlichere Talent: sich durchzuschlagen. Er begann zu schreiben, bereiste die Welt, sah viele Himmel. Blieb aber im afrikanischen Licht – obwohl scheinbar sein ganzes Werk gegen die Helligkeit stand. Hatte Camus doch mit »Caligula« früh schon das Drama des Terrors geschrieben, hatte er doch mit dem Essay vom »Mythos des Sisyphos« die Philosophie des Absurden begründet.

Mit dem Aufsatz »Der Mensch in der Revolte« warf er sich gegen apodiktische Geschichtsschreibungen, Sartre wandte sich ab, Camus sei durch die Poesie verdorben worden. Nein, erwiderte Camus, er wehre sich nur gegen die Absolutsetzung des Geschichtseifers links wie rechts, »gibt es eine Partei der Leute, die nicht sicher sind, recht zu haben? Dort bin ich Mitglied.«

Man kann zur Wahrheit eine Ahnung herstellen, man kann sie aber nicht vom Zaun brechen, mit dessen Latten man jene schlägt, die anderer Wahrheit zugetan sind. »Keine Sache, nicht die edelste, rechtfertigt den Tod eines einzigen Unschuldigen.« Woran Camus glaubt, ist die Kraft der Verachtung, sie ist der innere Stolz des Menschen, mit dem er noch jedes Schicksal strafen kann. »Wir haben unsere Beschaffenheit nie überwunden, aber wir können sie immer besser erkennen.« Daraus resultiert der innere Auftrag radikaler Gewissensforschung, bis zur Bewusstseinserbleichung, wie sie im Buch »Der Fall« erzählt wird.

Dem Werk des Nobelpreisträgers gelang das Paradoxon: eine sinnliche Vereinigung mit der Welt bei gleichzeitiger Revolte gegen sie. Die Idee von der Reinheit menschlichen Lebens und zugleich Verneinung von Welt und Geschichtsbetreiberei – das Absurde entsteht aus diesem unverständlichen Bruch des Seins. Die Revolte macht den Bruch sichtbar, nimmt ihn auf sich, steigert ihn: Unablässig möge der Mensch Zeugnis ablegen wider seine Zeit, denn sie schraubt ihn ein in ihre Getriebe; durch geistige Revolte bezeugt der Mensch, dass sein innerstes Wesen und sein Wert, auf den er verzweifelt und heimlich ein Recht hat, von anderer Art sind als das Schicksal, die Welt und der politische Betrieb.

»In unserem schwärzesten Nihilismus habe ich immer nur Wege zu seiner Überwindung gesucht, aus instinktiver Treue zum Licht, in dem ich geboren wurde und in dem die Menschen gelernt haben, selbst noch im Leid das Leben willkommen zu heißen.« Da ist es, das afrikanische Licht der alten Magna Graecia, die heißen Steine, der Geruch der Wermutssträucher, das Schnarren der Zikaden – Garanten eines Seins, das der Geschichte entgegengehalten wird. Licht, besänftigendes Wesen, das der Hoffnung die Beschönigung nimmt und der Verzweiflung die Sentimentalität. Könnte ein nordischer Mensch die Verkündigung der Sinnlosigkeit und die Schönheit der Erde überhaupt zusammendenken? Marx nannte diesen Kampf zwischen dem Prinzip des Maßes und dem Prinzip des Unbedingten den »Kampf zwischen Mittag und Mitternacht«.

Dann der blöde Tod mit 46, im Auto des Verlegerfreundes Michel Gallimard. Ein Zeuge sagt, der Wagen habe auf der Straße »Walzer getanzt«. In der Tasche Camus’: das Billett für den Zug, mit dem er hatte fahren wollen. Absurder kann Wahrheit nicht sein.

Von Ralf Klingsieck, Paris

Nicolas Sarkozy hatte sich alles schon so schön ausgemalt: Am heutigen 4. Januar, dem 50. Todestag, sollte der Sarg mit den sterblichen Überresten von Albert Camus in einer feierlichen Zeremonie ins Pariser Panthéon überführt werden. Die Rede wollte er halten, das Fernsehen sollte davon berichten.

Daraus ist nun doch nichts geworden – ob nur vorübergehend oder endgültig, muss sich noch zeigen. Die Entscheidung darüber, wer in die Ruhmeshalle der Nation einziehen darf, ist traditionell dem Staatspräsidenten vorbehalten. Unvergessen ist die mit pathetisch-vibrierender Stimme vorgetragene Rede des Schriftstellers und Kulturministers André Malraux, als auf Beschluss von Präsident Charles de Gaulle der Sarg des Résistance-Helden Jean Moulin 1964 ins Pantheon getragen wurde. François Mitterrand ließ als Präsident gleich vier Persönlichkeiten überführen, unter denen jedoch kein Schriftsteller war: 1987 Jean Monnet, 1988 René Cassin sowie 1995 Marie und Pierre Curie. Obwohl sich Jacques Chirac mehr für Sumo-Ringen als für Literatur interessierte, ordnete er doch 1996 die Überführung von André Malraux und 2002 die des zu einem Klassiker aufgestiegenen Erfolgsschriftstellers Alexandre Dumas an. Wobei er sich damit über den Willen der Bürger und der Stadtväter von Villers-Cotterêts und vor allem über Dumas' Verfügung im Testament hinwegsetzte, in seiner Geburtsstadt beigesetzt zu werden.

Als im vergangenen Oktober durch eine Indiskretion bekannt wurde, dass Nicolas Sarkozy die Absicht habe, Camus ins Panthéon überführen zu lassen, reichten die Reaktionen von verwundertem Kopfschütteln bis zu empörten Aufschreien. Was die beiden miteinander verbindet, wollte sich niemandem so recht erschließen. Da lag der Verdacht nahe, dass der Präsident darauf zählt, etwas vom Ruhm des Literaturnobelpreisträgers fiele für ihn ab. Der Zentrumspolitiker François Bayrou prangerte den »Versuch der Aneignung und des Missbrauchs eines großen Künstlers durch einen kleinen Präsidenten« an.

Dass der Vorschlag zur »Panthéonisierung« von Camus ausgerechnet von Sarkozy kommt, versucht der Historiker Jean Favier zu relativieren: »Als Voltaire ins Panthéon überführt wurde, folgte eine unübersehbare Menschenmenge seinem Sarg, und noch heute liest man seine Werke – doch wer seinerzeit die Zeremonie geleitet hat, ist längst vergessen.«

Die Idee sei ihm Ende 2007 gekommen, sagt Sarkozy, als er aus Anlass des 60. Jahrestages der Nobelpreis-Rede von Camus ein Dutzend französischer und algerischer Schriftsteller und Verleger ins Elysée-Palais eingeladen hatte. Zu den Gästen gehörte auch die Tochter Catherine Camus, die heute Anwältin ist und für die Familie über die Rechte am Werk wacht. Sie hat den Präsidenten im vergangenen Sommer an der Côte d’Azur wiedergetroffen, wo Sarkozy in einer Villa der Familie seiner Frau Carla Bruni Urlaub machte. Catherine Camus war angetan von der Idee, dass ihr Vater ins Panthéon einziehen soll. »Camus ist ein Mythos, weil er eigentlich das Gegenteil eines Mythos ist«, meint sie. »Er war ein einfacher Mensch. Die Leser haben ein geradezu brüderliches Verhältnis zu meinem Vater.«

Doch Catherine Camus hat sich noch nicht endgültig entschieden, denn sie hat einen Zwillingsbruder, Jean, und der ist entschieden gegen die Überführung ins Panthéon. Jean Camus pocht darauf, dass sein Vater auf dem Friedhof des Provence-Städtchens Lourmarin beigesetzt werden wollte, wo er die letzten Jahre gelebt und geschrieben hat. Hier fand er Wärme und Farben seiner algerischen Heimat, die er so vermisste. Daher erscheint es besonders abwegig, ihn in die kahle, kalte Krypta des gigantischen Pariser Kirchenbaus zu verbannen, der 1764 bis 1790 im Auftrag von Louis XV. gebaut worden war und von der Nationalversammlung der Französischen Revolution zum Panthéon, also der Ruhmeshalle der Nation, bestimmt wurde. Der Camus-Biograf Olivier Todd: »Wenn da nicht der Präsident wäre, der Camus zu vereinnahmen versucht, gäbe es keinen anderen Kandidaten für das Panthéon mit einer vergleichbar breiten Zustimmung quer durch alle Parteien und Lager.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal