nd-aktuell.de / 12.01.2010 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Geologie spielte bei Gorleben fast keine Rolle

Brisante Dokumente geben den Endlagergegnern neue Argumente

Reimar Paul
Dass es bei der Auswahl von Gorleben zum Standort eines »Nuklearen Entsorgungszentrums« vor mehr als 30 Jahren nicht mit rechten wissenschaftlichen Dingen zuging, vermuteten Atomkraftgegner schon lange. Nun gibt es eindeutige Belege für diese These.

Am Montag von der »taz« auszugsweise bekannt gemachte Kabinettsprotokolle und andere Schriftwechsel aus der damaligen Zeit belegen, dass geologische Aspekte bei der Benennung Gorlebens tatsächlich nur eine nachrangige Rolle spielten. Demnach hatte die damalige niedersächsische Landesregierung von Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) im Februar 1977 den Standort wegen seiner »Zonenrandlage«, der hohen Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Wendland, der relativen Erdbebensicherheit der Region und einer großen, nicht bebauten Fläche über dem Salzstock favorisiert. Neben einem Endlager, so damals die hochfliegenden Pläne, sollten in Gorleben auf einem bis zu zwölf Quadratkilometer großen überirdischen Areal auch eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage, mehrere Zwischenlager und weitere Nuklearanlagen entstehen.

In den 1970er Jahren befassten sich im Auftrag der Landesregierung zwei Arbeitsgruppen mit der Standortsuche. Ein Team um den Geologie-Professor Gerd Lüttig untersuchte bundesweit hunderte Salzstöcke – Gorleben kam dabei nicht in die engste Auswahl. Zeitgleich machte sich auch eine interministerielle Arbeitsgruppe auf die Suche. Unter den 23 in einem Ausschlussverfahren ausgesiebten Salzstöcken war Gorleben. Diese Standorte, so jedenfalls legen es die Kabinettsprotokolle nahe, wurden mittels einer Punktetabelle bewertet. Unter geologischen Aspekten schnitt Gorleben miserabel ab, es erreichte nur 32 von 266 möglichen Punkten.

Wie die »taz« unter Berufung auf bislang vertrauliche Dokumente weiter berichtete, setzte Landesvater Albrecht die Benennung von Gorleben damals gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) durch. Der Bund habe »Schwierigkeiten für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR« sowie Geldforderungen der DDR gefürchtet. Hinzu seien Bedenken gegen eine grenznahe Wiederaufarbeitungsanlage gekommen, mit der atomwaffentaugliches Plutonium erzeugt werden könnte. »Die Bundesressorts sind der Auffassung, dass ein Entsorgungslager auf dem Salzstock Gorleben von der DDR durch eine ›Handstreichaktion‹ unterhalb der Schwelle der kriegerischen Auseinandersetzung in Besitz genommen werden könnte«, zitiert das Blatt aus einer Kabinettsvorlage. Der Bund prüfte demnach sogar, ob »wegen des eventuell bedeutsamen Materials« die NATO eingeschaltet werden sollte.

Die Einwände der Bundesregierung überzeugten Albrecht damals offenbar nicht. Nach Angaben des mittlerweile emeritierten Geologie-Professors Gerd Lüttig, der in den 1970er Jahren mit der Suche nach Salzstöcken für ein Endlage beauftragt war, hatte es Gorleben dem niedersächsischen Ministerpräsidenten gerade wegen seiner Grenznähe angetan. »Er wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Zonengrenze haben, weil ›die Ostzonalen‹, wie er immer sagte, ›uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrockt hatten‹«, sagte Lüttig im vergangenen Jahr dem ND.