nd-aktuell.de / 24.04.2002 / Politik

Der Terrorist passt nicht ins Al-Qaida-Klischee

Prozess in Frankfurt (Main): Aurobi Beandali packt aus, nur: Er ist wohl keiner von bin Ladens Männern

René Heilig
Die Richter sind nicht zu beneiden. Sie sollen ein unabhängiges Urteil finden und wissen nicht einmal, wer sie in welche Ecke drängt. Gestern jedenfalls verlor die Anklage nach Punkten.
Eigentlich hatte der 26-jährige Algerier Aeurobui Beandali schon am ersten Prozesstag aussagen wollen, doch da hatte der Jury Zeit und Muße gefehlt. So nahm man gerade noch zur Kenntnis, dass Beandali sich gegen eine Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit verwahrte. Mit jenen, die Flugzeuge gegen das World-Trade-Center in New York steuerten, wollte er nichts gemein haben. Nicht einmal die Religion.
Das alles wirft kein gutes Licht auf jene, die Al Qaida für ein straffes Terrornetz halten. Denn auch die fünf derzeit in Frankfurt (Main) Angeklagten sollen so wie die Terrorflieger in den USA unter Osama bin Ladens Befehl gestanden haben. Sagt die Anklage und schwimmt im Mainstream. Zweifel mehren sich. Vorsichtig geworden, sprechen Ermittler inzwischen nur noch von »losen« oder »selbstständigen« Zellen. Als verbindendes Element bleibt zumeist nicht viel mehr als jeweilige Aufenthalte in Afghanistan, die zum Terroristen-Drill genutzt wurden. Beandali leugnet die dreimonatige religiöse Indoktrination sowie neun Monate militärische Ausbildung nicht. Sie habe aber nichts mit bin Laden zu tun gehabt. Glaubhaft, denn sie kann - bewertet man sie aus dem Blickwinkel der für Terrorismus notwendigen Konspiration - nicht viel getaugt haben.
Der »Pfusch« beginnt bei der Werbung und dem Verfassen von Empfehlungsschreiben durch selbst ernannte islamische Geistliche. Beandali, der als 16-Jähriger angeblicher Anhänger der Islamischen Heilsfront aus Algerien geflohen war, schlug sich als abgelehnter Asylbewerber in Deutschland mit Drogenhandel und Kleinkriminalität durch. Der nicht gerade unauffällige Bewerber lernte im Ausbildungscamp jede Menge Gleichgesinnte mit Klarnamen kennen, man tauschte Telefonnummern und Adressen aus. So fand man bei der Durchsuchung in Beandalis Wohnung im Frankfurter Röderbergweg die uncodierte Handy-Nummer von Abu Doha, angeblich der Fädenzieher bin Ladens in Europa. Bis ihn die britischen Dienste im Februar festgesetzt und erst am vergangenen Montag verhört hatten. Doha wiederum soll Beziehungen zu Ahmed Ressam unterhalten haben, der bereits im Dezember 1999 beim Sprengstoffschmuggel aus Kanada in die USA festgenommen worden war.
Auch die Benutzung »heißer«, in Großbritannien ausgestellter Kreditkarten von American Express und Visa durch die in Frankfurt angeklagte Truppe spricht nicht für eine halbwegs solide Terroristenausbildung. Wären bin Ladens Kämpfer wirklich so unprofessionell im Netzwerk des »Bösen«, ist es umso fragwürdiger, wieso die westlichen Geheimdienste nicht mehr Sicherheit für die Bürger erreicht haben.
Bei diesen Diensten liegt wohl auch das Problem. Während eine ordentlich ermittelnde Polizei alle Fakten offen legen würde, bedienen sich Geheimdienste - zumal wenn sie wie im Fall der Frankfurter Angeklagten auch noch aus verschiedenen Ländern stammen - stets diverser Tricks, die Tarnung schaffen oder künftige Aufklärungserfolge sichern sollen. Es ist durchaus in deren Ordnung, polizeiliche Ermittlungen zu dirigieren und Gerichte zu manipulieren. Unter solchen politisch-relevanten Umständen unabhängig Recht zu erkennen, ist kein einfacher Job.
Angeblich haben britische Spione ihre deutschen Kollegen über die am Telefon belauschten Aktivitäten der Frankfurter Terrorgang informiert. Laut Anklage war ein Bombenanschlag gegen den Weihnachtsmarkt in Strasbourg geplant. Doch der war bereits geschlossen. Sollte, wie nun der Angeklagte behauptet, die Synagoge das Ziel gewesen sein? Warum attackiert man eine Synagoge, wenn man gegen die Algerienpolitik der französischen Regierung kämpfen will? Und warum nimmt Beandali statt eines kleinen explosiven Päckchens eine Ausrüstung mit, die eher zu einem Banküberfall oder einem kleinen Bürgerkrieg passt: Als man ihn auf dem Weg zu drei seiner (heute mitangeklagten) Komplizen festnahm, hatte er zwei Maschinenpistolen, vier Pistolen sowie fast 200 Schuss Munition bei sich.

Nach den Anschlägen vom 11. September hatte Europol-Chef Jürgen Storbeck gewarnt: »Bin Laden ist nicht automatisch Befehlsgeber jeder terroristischen Tat, die im Namen des Islam begangen wird.« Europol nehme Hinweise sehr ernst, wonach eine Art staatlich geförderter Terrorismus im Spiel sein könne, es gebe jedoch keine Beweise dafür. Jene, die Einstellungen bin Ladens teilten, stünden nicht notwendigerweise unter seinem Befehl. Storbeck forderte weit reichende Ermittlungen und eine bessere Zusammenarbeit der Polizeien. Das ging gegen den von US-Präsident Bush gelenkten Strom und mit Sicherheit gegen Storbeck Karriere.