nd-aktuell.de / 16.01.2010 / Kultur / Seite 19

Der Asket in seiner Behausung

Warum der Cottbuser Maler Matthias Körner mit jeder Arbeit ein Stück seines Lebens weggibt

Thomas Bruhn
Körner: »Das meiste verkaufe ich aus dem Atelier.«
Körner: »Das meiste verkaufe ich aus dem Atelier.«

Am Rande der Stadt, in unmittelbarer Nähe zur Spree, in einem ehemaligen Gebäude des Textilkombinates, in dem heutzutage eine bunte Melange aus allen möglichen Nutzern sich tummelt, befindet sich ein Atelier. Ein Vorraum, in dem Maschinen einer längst vergangenen Zeit ihr Dasein fristen, eine Eisentür. Das Klopfen klingt, als begehre der Besucher Einlass in die Vorwelt; der wird ihm nicht gewährt, in dem Gehäuse aus Vergangenem lebt Gegenwart. Ein ernsthaft und zugleich freundlich dreinblickender Mensch öffnet. Schmal, zerbrechlich, verletzlich. Dunkles Hemd und Jeans. Arbeitskluft. Mit glockenreinem Deutsch begrüßt Matthias Körner den Gast, nur ab und an gestattet er sich im weiteren Gespräch heimelig anmutende Wörter wie »nüscht« oder das verstärkende Lausitzer »noch«. Der Duft von Terpentin verrät die Profession besser als jede Visitenkarte: Maler. Künstler. Armes Luder.

Das Atelier ein weiter, hoher Raum. Fenster nach Norden bis fast zum Boden. An den Wänden viel Platz für Bilder. Fertiges, Entwürfe, in Arbeit sich Befindendes. Vorwiegend große Formate. Körner braucht den Raum, er fühlt sich erst in Formaten ab zwei mal drei Meter wohl: »Ab diesem Format setze ich mich auseinander, habe ich schlaflose Nächte. Da sehe ich einfach mehr. Das Kleine ist mir nichts, da kann ich nicht ausufern, komme zu schnell an Grenzen, bin beschränkt und sehe ewig diesen Rand und male schließlich drüber. Die kleinen Sachen«, er zeigt auf eine Reihe Kleinigkeiten neben der Tür, »sind Nebenprodukte und manchmal besser als die großen. Aber das, worum es sich in meinem Kopf dreht, sind die großen Formate.« Körner hantiert in der Kochnische und bringt eine Kanne und Schalen. »Den Tisch trägt keiner weg, das ist eine alte Setzplatte, Stahl. Musste Papier drunter legen, sonst wird der Tee schnell kalt.«

»Die Miete muss ein Vermögen kosten.«

»Der Vermieter ist ein Schwabe. Wir haben einen für beide Seiten guten Handel: Die Miete ist erträglich, und er bekommt jedes Jahr ein Bild. Er fängt immer wieder von Neuem an zu verhandeln. Als ich den Preis gewonnen hatte, kam er an: Jetzt können wir die Miete hochsetzen. Ich sage: Nüscht, Miete hoch, heißt Kündigung. Er: Ne, ne – meinen Künstler lass ich mir nicht nehmen.«

»Verkaufsstrategisch sind große Formate Unfug, aber ich habe mir abgewöhnt, darüber nachzudenken. Das ist Quatsch, man muss sein Ding machen. Zwar habe ich einen Galeristen in Potsdam, mit dem ich sehr zufrieden bin, Rainer Sperl, selber auch Künstler, Bildhauer, betreibt seit zwanzig Jahren eine Galerie, aber das meiste verkaufe ich aus dem Atelier. Mittlerweile habe ich viele Kunden aus dem Brandenburgischen, die sagen: Eigentlich wollte ich schon immer mal was von Körner. Die kommen und gucken, kommen nochmal und nochmal, bis es passt. Sicher könnte ich woanders mehr verkaufen, Cottbus ist kein gutes Pflaster, hier fehlt das Bildungsbürgertum, das sich Kunst leisten will und kann. Aber ich bin nun mal hier.«

Es ist kühl im Atelier. Körner zieht sich eine Jacke an. Beim Malen friert er nicht, weil er in Bewegung ist, aber jetzt beim Stillsitzen und Erzählen. Er gibt sich ruhig und gelassen. Man spürt, dass er über all das, was wir bereden, mehr als einmal nachgedacht hat. Malen ist ein einsames Geschäft; viel Zeit zum Nachdenken über die Welt und das Leben und über den eigenen Platz darin. Manches vom Gedachten findet sich auf der Leinwand wieder, anderes in der Art und Weise, wie die Kunst betrieben wird.

Er trennt sich ungern von seinen Bildern. Warum das so ist? Weil er mit jeder Arbeit ein Stück seines Lebens weggibt. Gern würde er mit seinen Bildern arbeiten, wie ein Schriftsteller mit seinen Texten, die er wieder und wieder vorlesen kann, oder wie ein Schauspieler, der sein Stück so oft spielen kann, wie er mag. In den Niederlanden gibt es Agenturen, die Bilder an Unternehmen verleihen. Dort kann sich kein Unternehmen leisten, keine Kunst auszustellen. Das gehört zum guten Ton. Die Unternehmen zahlen eine Gebühr, die dem Künstler zugutekommt. Das ist nicht viel, aber es hilft dem Einzelnen und trägt wesentlich dazu bei, dass eine Kunstszene sich entwickeln kann.

Hierzulande bleibt nur der Verkauf, damit man leben kann. Selbst Ausstellungen bringen nichts ein, weil Veranstalter kein Honorar für die Arbeit von ein, zwei Wochen zur Vorbereitung und zum Hängen bezahlen. Im Ton schwingen Wut und Bitternis mit: »Die sagen: Die Ausstellung ist Werbung, und Sie verkaufen Bilder. Auf einer Ausstellung verkauft man selten Bilder, das ist Quatsch, und das mit der Werbung ein schlechter Witz.«

Körner ist ein guter Erzähler. Unter der beherrschten Oberfläche aus wohlgesetzten Wörtern brennt Feuer. Er explodiert nicht, hält aber den Zuhörer mit der Drohung, dass jeden Augenblick alles in die Luft fliegen könnte, in Atem. Seine Geschichten haben Humor.

»Vor Jahren hatte ich eine Ausstellung im Rathaus Cottbus. Natürlich zahlte die Stadt keinen Pfennig, mit eben der Begründung, dass die Präsentation Werbung für mich sei. Ich habe an alle meine Geschäftspartner von der Autovermietung bis zum Lieferanten für Malerbedarf geschrieben: Die Geschäfte gehen nicht gut, das Geld ist knapp, ich kann nicht bezahlen, aber ich gebe überall bekannt, dass sie mich unterstützen – das wäre doch eine gute Werbung. Sie antworteten: Lieber Körner, so geht es nicht, wir müssen doch auch … Ich habe also meine Bilder aufgehängt. Zur Ausstellungseröffnung kletterte eine Tänzerin auf eine Leiter und ließ vor jedem Bild ein Rollo runter, darauf die vergrößerten Ablehnungsbescheide meiner Geschäftspartner. Die Ausstellung hing sechs Wochen. Im Rathaus schimpften sie wie die Rohrspatzen, und die Besucher linsten unter die Vorhänge, um zu sehen, ob da tatsächlich Bilder drunter sind. Großartige Irritation.« Humor? – Galgenhumor, würde ich meinen.

Wie entsteht ein Bild? Körner ist nun gesammelt, sehr konzentriert. Seine schöpferische Arbeit ist ein Thema, bei dem er sich keinen Scherz erlaubt, jedes Wort wägt. Er sitzt nicht mehr leger in der Mitte seines Sofas, er ist nach vorn auf die Kante gerückt: »Im Anfang sehe ich Flächen und Farben. Ich packe alles hinein, was mir in den Sinn kommt: Gesehenes, Gedachtes, Störendes, Ergänzendes, Bedeutsames. Ich versuche, dem Ganzen einen Sinn zu geben, und merke irgendwann, dass viel zu viel auf der Leinwand ist. Dann wird reduziert, gestrichen, übermalt. Als wenn Nacht über das Bild hereinbricht oder Schnee, der Überflüssiges, Privates und Unwichtiges zudeckt. Stehen bleiben nur wesentliche Einzelteile, die dann miteinander verbunden werden – ein Extrakt entsteht. Was in mir vorgeht, kann ich nicht beschreiben. Mir scheint, als versuche ich nur, die Dinge zu ordnen und ins Verhältnis zu setzen. Wenn der Prozess gut läuft, hat das Bild Spannung und strebt seiner Vollendung zu, wenn es nüscht ist – geht's von vorn los.«

Er hat, wie er sagt, frühpubertär angefangen. Ein christliches Elternhaus, wo alles sehr geordnet war, in dem die vier Jungs sehr freizügig aufgewachsen sind. Der Vater Dachdeckermeister und selbstständig, bis er zwangsverpflichtet wurde, eine PGH mitzubegründen. Mutter Großbauerntochter aus dem Thüringischen. Beide in der Kirche und der Gemeinde engagiert. Viele interessante Gäste, Hausmusik. Offenheit, Weit- und Weltsicht. Die Söhne hatten alle Freiheiten und Rückendeckung. Darum sei er, so Körner, auch eine Frohnatur.

Wie das Leben richtig ginge, habe er erst später gemerkt, als die Auseinandersetzungen in der Schule begannen, weil er nicht in der FDJ war, keine Jugendweihe wollte und alles hinterfragte, obwohl die Lehrer das gar nicht wollten. Diese Spannungen hat er schlecht vertragen. Morgens hörte er das 1. Violinkonzert in a-Moll von Schostakowitsch, damit ihm die Schule nichts anhaben konnte. Der letzte Schultag, wenn auch nach nichtbestandener Prüfung, war schön.

Die erste tiefe Erschütterung durch bildende Kunst erfuhr er in einer Ausstellung von Stefan Plenkers. Das waren seine Bilder, die rührten ihn an und auf. So hätte er auch gern gemalt und konnte es doch nicht. Mit dem, was er selbst malte, war er unzufrieden, das hatte nicht Hand noch Fuß. Aber der Traum war geboren und der Ehrgeiz geweckt.

Es folgten Ausbildungen: Krankenpfleger, Heilerziehungspfleger, Arbeitstherapeut. Dann Töpfer. Eigene Töpferei ohne Gewerbegenehmigung, so dass er alles schwarz verkaufte. Die Leute rissen ihm die Sachen förmlich aus dem Ofen. Nebenbei, aber nicht ernsthaft genug, weil die Zeit fehlte, Malerei. Zum Studium hat er sich gar nicht erst beworben. Schlechte Karten: ohne Abi, mit Wehrdienstverweigerung. Außerdem, so sagte er sich, wolle er sich das ganze Drumherum besser ersparen und suchte sich Lehrer. Sein wichtigster: Rainer Zille aus Dresden.

»Zille hat mich hart rangenommen. Der sah natürlich sofort, wo das herkam, was ich malte, und sagte: Hör auf mit dem Geklaue, mach dein eigenes Zeug. Er galt als der lauteste Maler des Landes, der hat bei der Arbeit auch mal geschrien und mich rausgeschmissen, so dass ich heulend im Zug nach Cottbus saß. Er hatte natürlich immer Recht.

Zille sagte so Sachen wie: Bring mir das, was du nicht kannst. Hast du schon mal mit Feder gezeichnet? – Ich hasse Feder. – Genau, das nächste Mal will ich nur Federzeichnungen sehen.

Und dann saß ich da und wusste nicht, was ich machen sollte. Und Zille hat gefragt: Was machst du, wenn du als Schiffbrüchiger auf einer Insel landest, und da gibt es nur einen Karton mit Federn und Papier? Machst du dann keine Kunst mehr? Man hört nicht auf, Kunst zu machen. Natürlich nicht. Und wenn man in Sand malt. Ich habe wochenlang nur mit Feder gezeichnet, und auf einmal ging es. Das hat mir natürlich gutgetan.

Der Drehpunkt kam '86/'87 da wusste ich über Nacht, dass es nichts anderes mehr gab außer Malen, dass ich nichts anderes wollte. Ich habe einen Hausmeisterjob bei der Kirche angenommen und nur gemalt. Es war ein Rausch.

Unterdessen bin ich in der Kunst angekommen, ich weiß, was ich kann, technisch bin ich mit allen Wassern gewaschen, und trotzdem ist da immer ein Zweifel, habe ich das Gefühl, was ich mache, steht auf wackligen Füßen. Ich weiß, wie es geht, aber das Wissen nützt mir nichts. Nach zwanzig Jahren Malerei wünschte ich mir ein wenig Sicherheit. Aber die gibt es wohl nicht.«

Er steht auf. »Ich zeig dir mal was.«

Körner zieht ein Bild aus dem Regal. Sehr edel, auf Aluminium gezogen. Vorwiegend Rot, die Struktur einer Spirale, ein Abriss.

Körner erklärt: »Es gibt Bilder, die nie fertigwerden, die schleppe ich mit mir rum und komme nicht damit klar. Die kotzen mich auch irgendwann an, weil ich merke, dass ich nicht mehr reinkomme und es nüscht ist. Als ich hier eingezogen bin, hatte ich über einen Meter davon. Und dann war eins, das wurde doch mal fertig, aber ich hatte nicht bedacht, dass man auf Öl nicht mit Acryl arbeiten kann. Sobald ich unten fertig war, begann es, sich oben zu räufeln. Und ich war wütend mit mir, ich habe getobt, habe reingetreten und alles zerfetzt. Wie bescheuert bist du überhaupt, und als dann alles vor mir auf dem Boden lag, dachte ich: Sieht aber gut aus. Ein Bild nach dem anderen habe ich zerkloppt, den ganzen Mist aus zwanzig Jahren, und habe mich noch gut gefühlt dabei.

Ich habe die digitale Knipse genommen und probiert, den Berg Stück für Stück zu fotografieren, dann die Plattenkamera. Bald hatte ich Hunderte von Negativen, die besten habe ich ausgesucht und vergrößert und manche auch übermalt. Am Ende hatte ich mir die Fotos ausgesucht, auf denen ich meine Bilder wiedererkannt habe. Verrückt.

Das war wie ein Rausch, ein Jahr habe ich nichts anderes gemacht. Dann die Ausstellung mit dem Titel Metamorphosen. Ich war noch so glücklich.

Zum Wettbewerb um den Brandenburgischen Kunstpreis hatte ich ein stilles Bild ausgesucht und schon eingepackt. Da kam ein Freund vorbei, Alexander Janetzko, Fotograf, und hat gesagt, das geht nicht und ein lautes ausgesucht, eines, wo ich beim Malen wütend war und getobt und mit den Fingernägeln gekratzt habe. Das hat den Preis gewonnen.«

Wir trinken grünen Tee, der zu diesem asketisch hageren und zähen Maler passt, zu einem, der fast schon zufrieden ist, wenn das Geld für Miete und Farben reicht. Wir schweigen über die Kunstförderung im Land Brandenburg und reden über eine Grafikserie, die Symbolen des Behaustseins nachspürt, die im kollektiven Unterbewusstsein verankert scheinen: Leiter, Dreieck, Fenster, Rad. Einer Ikonographie der Sehnsucht der Moderne nach einem Zuhause.