Tore und Selbsttore

Gastkolumne

  • Gesine Lötzsch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Doktorin der Philosophie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag.
Die Doktorin der Philosophie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag.

Ich interessiere mich nicht für Fußball. Deshalb will ich auch nicht Kanzlerin werden. Da muss man sich zu Spielergebnissen äußern, obwohl man keine Ahnung hat. Doch in der Nacht nach unserer Fraktionsklausur, hatte ich diesen Fußballtraum: Energie Cottbus und Rot-Weiß Oberhausen wollten aus der 2. Liga in die Bundesliga. Eine fast unlösbare Aufgabe, wenn man nicht einen Sponsor hat und die Sportreporter weder wissen, wo Cottbus, noch wo Oberhausen liegt.

Dann kam der verrückte Plan. Zwei Mannschaften, zwei Trainer, zwei Präsidien und tausende Fans wurden überzeugt, einen neuen Fußballklub zu gründen. Die Idee wurde nicht in den Vorständen der Clubs geboren, sondern von den Stürmern der beiden Mannschaften. Der eine war bekannt für seine gefürchteten Fernschüsse, der andere spielte so witzig durch die Reihen der feindlichen Abwehr, dass jedes Tor wie die Pointe einer gut erzählten Anekdote den Fans ein breites Grinsen auf die Gesichter zauberte.

Der neue Club schaffte es aus der 2. Liga in die Bundesliga und steht jetzt in der Tabelle auf Platz vier! So etwas hat es in der Geschichte des deutschen Fußballs noch nicht gegeben! Ein anderer Club hat es aus dem Bundesligakeller auf Platz drei der Tabelle gebracht. Dieser Klub wurde von den Sportjournalisten bejubelt. Die Deutsche Bank, einer der Hauptsponsoren, war überglücklich über diesen Sprung nach vorn. Jetzt war klar, dass sich ihre Investition endlich in Heller und Pfennig auszahlen würde.

Der Neuling aus der 2. Liga wurde von den Sportreportern weniger euphorisch begleitet. Irgendwie hatten alle das Gefühl, dass dieser Verein nicht in die Bundesliga gehört. So fielen die Kommentare auch nicht sehr schmeichelhaft aus. Die Spieler würden ja nur aus egoistischen Gründen gewinnen wollen. Sie machen bei dem ganzen Werbezirkus nicht mit und verderben den Leuten in der VIP-Lounge die Champagnerlaune. Die Fans sind entweder zu alt oder zu arm, auf jeden Fall nicht fernsehgerecht. Doch die Fans ließen sich nicht irritieren. Sie feierten die Erfolge.

Verunsicherung kam erst auf, als der Traumstürmer aus Oberhausen wegen Verletzung für Monate ausfiel. Dann begann eine Diskussion über eine neue Aufstellung. Einige Fans forderten einen sofortigen und bedingungslosen Stopp der Bundesliga bis zur Genesung des erfolgreichen Stürmers. Andere Fans wollten einfach mit nur zehn Spielern und der gleichen Aufstellung in der Bundesliga weiterspielen. Die Kommentatoren waren begeistert. Würden sie es schaffen, diese Underdogs wieder in die 2. Liga zu kicken? Sie erhielten Leserbriefe von Sportfunktionären, die die Frage aufwarfen, ob es nicht an der Zeit wäre, die Regeln des Fußballs grundsätzlich zu ändern.

Der Streit wurde schnell beigelegt, weil die Bundesliga – trotz aller Appelle – nicht unterbrochen wurde. Der verletzte Stürmer wurde ein wunderbarer Coach. Verschiedene Aufstellungen wurden getestet. Die Siege wurden wieder häufiger. Der von der Deutschen Bank gesponserte Klub schoss ein Eigentor nach dem anderen und drohte in die 2. Liga abzusteigen.

Der Wecker klingelte und alle Versuche wieder einzuschlafen, um das Ende der Story zu erfahren, scheiterten. Trotzdem hatte ich ein gutes Gefühl.

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