Kampf um die eigene Wirklichkeit

Katharina Wagner inszeniert in Mainz Puccinis »Madama Butterfly«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.
Pinkerton (Sergio Blazquez) mit Spielzeug
Pinkerton (Sergio Blazquez) mit Spielzeug

Es ist so etwas wie ein assoziativer Kalauer, wenn man bei den zwei mit Warten und Leiden am Warten beschäftigen Frauen in der trostlosen Mauerecken-Einsamkeit eher an Richard Wagners Frauen-Gespann Isolde und Brangäne denken muss als an Puccinis Cio-Cio Sun und Suzuki. Wenn Katharina Wagner die Regisseurin ist, die sich auf ihren Abwegen vom Wagner-Pfad in Mainz Puccinis »Butterfly« vornimmt, dann tauchen solche Gedanken eben auf. Wobei die Regisseurin nach der Generalprobe wieder Richtung Bayreuth abgereist war – nicht wegen dieser Produktion, sondern wegen einer Lungenentzündung ihres 90-jährigen Vaters Wolfgang. Wenigstens diese Vater-Tochter-Beziehung war immer schon ein sehr menschlicher Lichtblick in dieser besonderen Familie.

Mittlerweile ist Katharina Wagner gemeinsam mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier zur Festspielleiterin aufgestiegen. Und zumindest mit ihren Interpretationen von Urgroßvater Richards »Holländer«, »Lohengrin« und »Meistersinger« hat sie sich auch den Ruf einer zupackenden Regisseurin erworben, die stets nach ihrem eigenen Zugang sucht.

Auch bei der rauf- und runterinszenierten »Madama Butterfly« hatte sie etwas anderes im Sinn, als dem Clash der Kulturen oder dem »Männer sind Schweine und Frauen sind doof« (wie Katharina im Vorfeld das Butterfly-Klischee auf den Punkt brachte) eine weitere Variante hinzuzufügen. Bei ihr ist es mehr der, wenn auch vergebliche, Kampf dieser Butterfly um eine eigene Wirklichkeit. Dabei ist sie bereit, ihre Verbindungen zu ihrer Herkunft und Tradition zu kappen und sich gegen ihre Familie und Gesellschaft zu stellen.

In dieser Inszenierung (bei der Monika Gora die Bühne und Thomas Kaiser die Kostüme beisteuerten) bedarf es dazu im engeren Sinne weder des Kindes, noch der neuen amerikanischen Ehefrau von Pinkerton, um ihre Tragik zu verdeutlichen. Ja es bedarf nicht einmal des Selbstmordes am Ende. Das Herunterreißen ihres Schleiers und die Hinwendung zum Spielmacher und allgegenwärtigen Strippenzieher Goro reichen dafür völlig. Als Idee wird das im Laufe des Abends durchaus deutlich. Die sieben Kisten, in denen sich zu Beginn lauter ausgefallene sexuelle Sonderangebote aller Fetischspielarten für die Biedermänner Pinkerton (Sergio Blazquez) und Sharpless (Patrick Pobeschin) verbergen, finden sich nach Pinkertons Abreise als getürmte, bekletterbare Wandinstallation im Bühnenhintergrund wieder. Das hat einen ästhetischen Eigenwert, weil es Assoziationen in Richtung vieler Wirklichkeitsanschlusstücke ermöglicht. Gerade wenn dort immer wieder ein Pinkerton-Doubel herumklettert, kniende Soldaten erschießt oder die Wände mit Blut beschmiert.

Bei der szenischen Umsetzung der Probleme, die Cio-Cio Sun (Abbie Furmansky) mit der Wirklichkeit hat, geht es allerdings nicht ohne holpernde Längen ab. Gemeinsam mit Suzuki (Patricia Roach) verschanzt sich diese Frau im modern aufgebauschten Pseudokimono in ihrer Mauerecke und bewegt sich von dort kaum weg. Erstaunlich viel Rampenvorlage, die den meist soliden Protagonisten freilich dennoch nicht immer genügte, um dem ziemlich dick und nicht allzu aufregend auftragenden Orchester unter Leitung von Catherine Rückwardt standzuhalten. Wobei vor allem Abbie Furmansky mit einer kultivierten Butterfly dennoch eine gute Stimmfigur macht. Mäßiger Applaus für eine Produktion, die nicht alle Erwartungen erfüllte.

Nächste Vorstellung: 31.1.

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