nd-aktuell.de / 27.01.2010 / Kultur / Seite 14

Strittiges Wort

Atlas zu Vertreibung

Karlen Vesper

Eine baldige deutsche Ausgabe wäre wünschenswert und sinnvoll«, hatte die Historikerin Daniela Fuchs, die in Wroclaw Geschichte studierte, vor anderthalb Jahren im ND geschrieben. Nun liegt der von polnischen Wissenschaftlern erarbeitete »Atlas Zwangsumsiedlungen in Ostmitteleuropa 1939 bis 1959« übersetzt vor.

Präsentiert wurde er im Deutschen Historischen Museum in Berlin, in dessen Räumen die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung seit Herbst ihr Domizil hat. Stiftungsdirektor Manfred Kittel, lobte den Atlas als »wichtigen Schritt« zur Versachlichung der Diskussion. Er sieht mit dem Zusammenwachsen Europas Chancen, diese schmerzhaften Kapitel Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. Stefan Troebst von der Universität Leipzig, der das Geleitwort zur deutschen Ausgabe verfasste, verwies auf erfolgreiche bilaterale Projekte im letzten Dezennium.

Dahingegen äußerte die Publizistin Helga Hirsch die Ansicht, dass es zu keinem einheitlichen europäischen Geschichtsbild hinsichtlich der Vorgänge der 40er Jahre kommen werde. »Ihr Atlas wird in Deutschland auf Differenzen stoßen«, sagte sie zur Mitautorin Malgorzata Ruchniewicz und wollte sodann wissen, warum die polnische Geschichtsschreibung auf ihre Begriffe beharre, von Evakuierungen, Aus- und Umsiedlungen, statt von Vertreibung der Deutschen spreche. Das Wort »Vertreibung« sei in Polen emotional belastet, entgegnete die junge Forscherin aus Wroclaw. Und: Man sei nicht geneigt, »die Zwangsumsiedlung der Deutschen vom vorangegangenen Leid der polnischen Bevölkerung zu trennen«. Sie schilderte ihre Begegnung mit einem alten Mann, der 1939 von Deutschen aus Bromberg vertrieben wurde: »Wo waren da die Mahner von Menschenrechten?« Mitautor Grzegorz Hryciuk: »Der Begriff Vertreibung stößt in Polen auf Ablehnung wegen der versteckten Konnotation, die er im Deutschen hervorruft.« Vertreibung und Deportation enthielten »ein mörderisches Element, was für Historiker hinsichtlich des Schicksals der Deutschen 1945/46 nicht hinnehmbar ist«.

Die Autoren bestanden darauf, dass in der Übersetzung ihre Begriffe und Definitionen, die »weitgehend treffend und in der polnischen Historiografie Konsens sind«, gewahrt wurden. Das umstrittene Wort findet sich jedoch im vom Original stark abweichenden Titel der deutschen Weltbild-Ausgabe: »Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung. Mittel- und Osteuropa 1939 bis 1959« (253 S., geb., 14,95 €).