Weggebeizt

Ultraschall-Festival Berlin: P.-H. Dittrich

  • Stefean Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Bekanntlich gibt es ein Wegwerfsyndrom auch in der Kunst/Musik. Es besteht darin, zu verunglimpfen, wegzuretuschieren, zu entsorgen, was ökonomisch und kunstpolitisch nicht systemtauglich scheint. Ein Vorgang, der sehr augenfällig zur Verrottung der Kultur beiträgt. Da wird häufig mit dreisten feuilletonistischen Gesten aus dem Bewusstsein zu drängen versucht, was einst als Wert galt.

Paul-Heinz Dittrich, er wird Ende des Jahre achtzig Jahre alt, war in der DDR zunächst ein Geheimtipp, ehe er auf die zentralen Podien kam. Leute vom Fach rissen sich um seine Partituren und analysierten sie. Stark, modern, avanciert! Sprudelte es aus den Mündern. Nicht viel anders im Westen. Der Komponist wurde dort hofiert und zeitweise mehr aufgeführt als in seinem Heimatland. Die Dinge drehten sich, wie jeder Dackel weiß, nach dem staatlichen Beitritt. Was einst rühmlich war, galt nun nichts mehr oder nur noch die Hälfte.

Dittrich und seine Komponistenfreunde haben sich davon nicht beirren lassen. Sie schrieben fleißig weiter und dachten nicht im Traum daran, gerade gängigen Moden und Diskursen Tribut zu zollen. Solche Haltung, an einmal Erarbeiteten festzuhalten, gilt heute gemeinhin als alt, starr, verstiegen, unflexibel. Das Dittrich-Konzert zum Ultraschall-Festival, das einzige mit einem »Ostkomponisten«, bewies das Gegenteil.

Unter dem Motto »Voix intérieure« kamen Solowerke für Flöte, Violoncello, Klavier und ein Trio für eben diese drei Instrumente, binnen 1995 und 2004 entstanden, zur Aufführung. Der Saal im Radialsystem V, gelegen am Spreeufer nahe dem Ostbahnhof, war eigentlich viel zu groß. Dittrichs stille, überaus sensitive Musik bedarf der Intimität des kleinen Raums, der unmittelbaren Nähe zwischen Spieler und Zuhörer. Jeder Windhauch einer Flöte, noch die hohen, wie Insekten flirrenden ppp-Flageoletts eines Violoncellos müssen erfassbar, auffassbar sein. Dittrich schreibt gern für Soloinstrumente. Die kann er bis zum Rand ausreizen, ihre Ausdrucksmöglichkeiten, wenn's hochkommt, erweitern. Wenn er vorher weiß, wer sie aufführt, um so besser.

»Weggebeizt« für Violoncello solo, geboten von Rohan de Saram, speist sich aus technischen, virtuosen Finessen ebenso wie aus Auffädelungen charakteristischer Fragmente und Expressiva. Das geht bis zu Melodiefetzen volkstümlichen Tons. Das Prinzip hier: ein Flickfetzen wird vom nächsten geschluckt, gleichsam weggebeizt. Das geht in aller Lebendigkeit so fort bis zu jener tremolierenden klassischen Finalgeste, die das Stück heiter beschließt.

»SA-UM« schreitet Räume aus. Da war die Größe des Saales angebracht. Aus wenigen Flötenfiguren erwächst über die Steuerungen der Live-Elektronik ein ganzes Kompendium von Klängen, Dialogen, Kontrapunkten verteilt im Raum. Das dreiteilige Stück grundiert ein jeweils durch paarige Flötentöne eruierter Orgelpunkt. Der geht fast boshaft bohrend durchs Ganze hindurch. Kontrastbildungen ermöglicht die zugezogene Bassflöte. In ihrem Element die Solistin Carin Levine. Sie selber kann per Fußpedal den Fluss der Musik teils steuern, teils ihre ganz eigenen Erfindungen dazugeben.

Die Klaviermusik V – in memoriam Heiner Müller – schrieb Dttrich unmittelbar nach dem Tode des Dichters. Wer, wenn nicht Pianist Frank Gutschmidt, weiß, diese fast halbstündige, voller Intensitäten steckende Komposition aufzuführen. Bisher hat es noch kein anderer versucht. Das Stück hat freilich seine Längen. Die oft wiederholten raschen Akkordketten und Phrasenüberlagerungen, ermöglicht durch raffiniert angewandte Pedaltechnik, vernutzen sich alsbald. Gleichwohl rollt eine glänzende Dramaturgie mit vielen Wechseln und Kontrasten ab. Bestechend die sorgfältig ausgeführten, sehr ernsten, Trauer mitführenden langsamen Teile. Ein grandioses Werk.

Die Kammermusik XII – Journal des voix mortes, sie führt die drei Soloistrumente zusammen, setzt sich mit dem freilich schwierig zu gestaltenden Problem des Todes auseinander. Nichts Gesungenes, Gesprochenes, sondern sieben kurze Dichtungen, zwischen die Notenzeilen gesetzt, lässt die Musik fühlbar werden. Celan, seine Dichtung ist zentral für Dittrich vokale Konzeption, Jessenin, Baudelaire, Novalis, Hölderlin, T. S. Eliot, Heiner Müller – sie alle sprechen lautlos hinter der Musik. Luigi Nono hat dieses Verfahren in seinem Streichquartett »Stille. An Diotima« als erster eingeführt. In allem nimmt die Kammermusik XII sich zurück. Grob gesprochen, verbindet sie Trio-Zwischenspiele mit Duetten und wortlosen Rezitativen. Die Musik macht indes jene unhörbaren, von der Unwiderruflichkeit des Todes handelnden Poesien auf eine Weise hörbar, wie sie zarter kaum sein kann.

Gegen alle Unkenrufe ein mit viel Beifall bedachter, gelungener Abend.

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