nd-aktuell.de / 29.01.2010 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

Der Willkür werden Tür und Tor geöffnet

Von der Leyen will Sanktionen für ALG-II-Bezieher verschärfen

Grit Gernhardt
Um Arbeitslosengeld-II-Bezieher zur Kooperation mit den Behörden zu zwingen, hat der Gesetzgeber eine Reihe von Sanktionen vorgesehen. Ein Papier des Bundesarbeitsministeriums verschärft diese nun weiter.

Laut den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieher im Januar um 16 000 auf nun 2 275 000 gestiegen. Inklusive aller betroffenen Familienmitglieder sind es sogar 6,48 Millionen, wie der Deutsche Landkreistag am Donnerstag erklärte. Fast sechseinhalb Millionen Deutsche müssen jeden Monat von einem Regelsatz leben, der kaum das Überleben sichert. Damit nicht genug: Wer Termine versäumt, weniger Bewerbungen als vorgegeben schreibt, eine »zumutbare« Arbeitsgelegenheit nicht antritt oder sie abbricht, wird mit Leistungskürzungen bestraft – im Wiederholungsfall von bis zu 100 Prozent des Regelsatzes. Noch härter trifft es die Unter-25-Jährigen. Ihre ALG-II-Leistungen können bereits beim ersten Regelverstoß komplett gestrichen werden.

Und diese Sanktionen, festgeschrieben im Paragrafen 31 des Sozialgesetzbuches II (SGB II), werden nicht gerade selten ausgesprochen: Im Jahr 2008 wurden SGB-II-Leistungen insgesamt 789 000 Mal gekürzt, davon fast 120 000 Mal auf Null. Die Zahlen spiegeln allerdings nicht wider, wie viele Menschen weniger oder keine Leistungen mehr ausgezahlt bekamen, weil viele ALG-II-Bezieher mehrfach betroffen waren.

Wenn der gerade bekannt gewordene Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums zur Neuorganisation der Jobcenter umgesetzt wird, wird sich die Situation weiter verschärfen. Bisher sind Leistungskürzungen laut SGB II möglich, wenn »der erwerbsfähige Hilfebedürftige« sich weigert, »eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit [...] oder Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen«. Nach der geplanten Neuregelung, mit der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Hartz-IV-Zuständigkeiten neu ordnen will, soll bereits derjenige bestraft werden, der die »Anbahnung« einer Arbeit oder Maßnahme »durch sein Verhalten« verhindert.

Im Klartext: Wer im Büro des Arbeitsvermittlers Missfallen über die angebotenen, meist unterbezahlten Jobs oder das zehnte Bewerbungstraining äußert, kann sofort mit der Streichung von 30 Prozent des Regelsatzes rechnen. Bei einer Wiederholung drohen minus 60 Prozent, bei der zweiten wird die Auszahlung für drei Monate komplett eingestellt.

Bereits vor zwei Wochen hatte von der Leyen in einem »Bild«-Interview konsequentere Sanktionen für »arbeitsunwillige« Hartz-IV-Bezieher gefordert. Laut der Internetseite www.gegen-[1] hartz.de lehnen aber sogar die Behörden selbst eine weitere Verschärfung ab. Die ARGE Leverkusen sagte demnach, dass die Möglichkeit, ALG-II-Leistungen auf null zu kürzen, bereits strikt umgesetzt werde. Härtere Sanktionen könne es nicht mehr geben.

Die Sanktionierungspraxis wird von Erwerbsloseninitiativen bereits seit der Einführung von Hartz IV im Januar 2005 heftig kritisiert. Werner Schulten, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz IV in der LINKEN, erklärte gegenüber ND, der Sanktionsparagraf 31 sei »der Schlüssel zu Diskriminierung und Ausgrenzung von Erwerbslosen und gleichzeitig das ideale Werkzeug zur Ausübung massiven Drucks auf die Beschäftigten mit dem Hintergrund, den Niedrig- und Armutslohnsektor ungebremst auszubauen«. Vom Prinzip des »Förderns und Forderns« sei nur das »wirkliche Ziel, nämlich das Fordern« übrig.

Zudem lässt der Gesetzgeber auch bei der Neuformulierung große Ermessensspielräume für die Fallmanager. Nach welchen Vorgaben, so Schulten, werde zum Beispiel entschieden, ob ein Erwerbsloser eine »Anbahnung« durch »sein Verhalten« behindert habe? Auch der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Klaus Ernst, sprach von »reiner Schikane«. Die neue Formulierung sei »so schwammig, dass einer willkürlichen Auslegung Tür und Tor geöffnet werde«.

Links:

  1. http://www.gegen-