nd-aktuell.de / 30.01.2010 / Reise / Seite 26

Wo Tempelwärter ihre Dienstmarke verkaufen

Im kambodschanischen Weltkulturerbe Angkor Wat prallen Massentourismus und Armut aufeinander

Robert Luchs

Der Erfolg einer Reise hängt zwar nicht nur, aber doch ganz wesentlich von der »Klasse« des Reiseleiters ab. An diesem feuchtheißen Morgen stellt Pen Kong nicht zum ersten Mal unter Beweis, dass er zur ersten Garnitur seines Berufs-stands gehört.

Plötzlich stoppt der Kleinbus, und Kong führt uns in den Dschungel am Rande von Angkor Wat, der weltberühmten Tempelanlage im Nordwesten Kambodschas. Zwar kennen wir das Ziel, wissen aber nicht, wie wir es erreichen werden. Der Reiseführer hat Ta Prohm am Ende unseres Aufenthalts als Höhepunkt ausgesucht, den Tempel, der allmählich vom Dschungel verschluckt wird.

Kurz vor Beginn der Regenzeit sind die Temperaturen nur schwer zu ertragen, Feuchtigkeit tropft von den Baumriesen und Tausende von Zikaden lassen die Luft beben. Noch bevor sich die erste Welle japanischer Touristen durch das Tor des »Dschungeltempels« Ta Prohm wälzt, haben wir durch die Abkürzung, die wir Kong zu verdanken haben, den größten Teil des Tempellabyrinths mit seinen 39 Türmen erkundet.

Ursprünglich war die mächtige Anlage, die allmählich wieder der Natur anheimfällt, ein buddhistisches Kloster. König Jayavarman VIII. (1243 bis 1295) hat den Tempel »rehinduisiert«, führte den Schiva-Kult wieder ein und entfernte die buddhistischen Themen aus den Reliefs.

Zerstörende Umarmung

Morgendunst steigt aus den mit Moos überzogenen Steinen auf, die dem Besuchern den Weg versperren. Mächtige Wurzeln von Würgefeigen und Kapokbäumen umschlingen die Mauern, erklimmen in einem jahrhundertealten Kampf die Terrassen und brechen meterbreite Stücke aus dem in der Wildnis verlorenen Tempel. In seiner Blütezeit lebten hier über 12 000 Menschen, für deren Unterhalt fast 80 000 Personen aus verschiedenen Dörfern zuständig waren. Der faszinierende Blick auf den würgenden Griff der Baumwurzeln nimmt die schweißüberströmten Besucher so gefangen, dass sie oft das eigentliche Heiligtum mit den eingestürzten Ecktürmen nicht mehr sehen.

Nicht nur über 100 steinerne Tempel, sondern auch hölzerne Paläste ließen die Könige des riesigen Khmer-Reiches, das weite Teile des heutigen Thailand umfasste, zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert bauen. Die Macht der Könige erlosch vom ausgehenden 13. Jahrhundert an. Vom Flugzeug aus erscheint Angkor Wat wie ein riesiges, eng verschachteltes Muster aus Quadraten und Achsen. In der Mitte erheben sich majestätisch fünf schachbrettartig angeordnete Türme, die im Licht der Abendsonne den Betrachter verzaubern. Die streng gegliederte Schöpfung aus Stein erinnert Forscher und Architekten an ein mitten in den Dschungel und in Reisfelder versetztes Versailles Südostasiens. Ein einmaliges Beispiel geradezu vollkommener geometrischer Ordnung.

Nachdem die Epoche Jayavarmans VII., des größten aller Tempelbauer, im 13. Jahrhundert ihr Ende fand, wurden keine weiteren Steintempel mehr errichtet. Es ist nicht sicher, ob die finanziellen Mittel nicht ausreichten oder ob der aufkeimende Theravada-Buddhismus keine weiteren Bauten ermöglichte. 1431 fielen die Siamesen ein, worauf der Herrscher nach Phnom Penh umzog und Angkors Tempel dem Dschungel überließ.

Der Schweizer Autor Henri Stierlin schreibt über Angkor: »Eigentümlich ist der großen Khmer-Kultur, dass sie ganz in eine durch Menschenhand gestaltete Welt eingebettet war, sich auf ein durch Landwirtschaft und Bewässerungsanlagen bestimmtes System zurückführen lässt, durch das alles geprägt wurde: die Gesellschafts-ordnung wie die Religion, die Technik wie die Wirtschaft, der Städtebau wie die Architektur.« Treffender lässt es sich nicht beschreiben. Die Begeisterung über die Dschungelkathedralen Angkors wächst von Jahr zu Jahr, lockt immer mehr staunende Besucher aus aller Welt zu den dem Urwald entrissenen Bauschöpfungen.

Disneyland im Welterbe

Vor einigen Jahren plante ein malaysischer Unternehmer, eine Art kambodschanisches Disneyland vor den Toren von Angkor Wat anzulegen. Mit Lasershows und viel Spektakel. Dass dieser verwegene Plan nie realisiert wurde, mag ein Indiz dafür sein, dass doch nicht alles käuflich ist in dem von Korruption verseuchten Land – oder der Unternehmer hat die zuständigen Behörden nicht genug »ge-schmiert«.

Aber auch ohne Volksbelustigungen ähnelt Angkor Wat von Jahr zu Jahr mehr einem Rummelplatz. Einerseits sind ein Dutzend Länder mit teuren Restaurationsprojekten in der Tempelanlage engagiert, andererseits kontrolliert kaum jemand den täglichen Ansturm von Touristen aus aller Welt, die die steilen Treppen erklimmen und die Basreliefs befingern. Müde Wächter schleichen um die Sehenswürdigkeiten, die vor über zehn Jahren von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden, und nur selten weisen sie einen Besucher in die Schranken. Im Gegenteil: Manche der völlig unterbezahlten Tempelpolizisten bieten heimlich ihre Dienstmarke zum Verkauf an – ein Souvenir der besonderen Art.

Die allgegenwärtige Korruption macht auch nicht vor dem achten Weltwunder Angkor Wat halt. Vor einigen Jahren verkaufte die für den Tempelkomplex zuständige Regierungsorganisation »Apsara« (Authority for the Protection and Management of Angkor) die Konzession für die Eintrittskarten an die Sokha Company. Der Ölmagnat Sokha baute daraufhin aus den Einnahmen des Ticketverkaufs weitere Hotels in Siem Reap als auch in Sihanoukville an der Küste im Südwesten des Landes. Mit diesem Handel war die heiligste Stätte der Nation praktisch privatisiert.

Verkauf der toten Seelen

Darin haben die Kambodschaner inzwischen Erfahrung: Vor einem Jahr vergab der Bürgermeister von Phnom Penh die Verwaltung der als »Killing Fields« bekannten Gedenkstätte vor den Toren Phnom Penhs für eine jährliche Gebühr von 15 000 Dollar an ein japanisches Unternehmen. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 30 Jahren und soll dem Bürgermeister zufolge dem Tourismus dienen. Neang Say, der Leiter der Gedenkstätte, die die sterblichen Überreste von 8985 Menschen beherbergt, die von den Schergen Pol Pots umgebracht wurden, äußerte sich entsetzt. »Die Opfer haben noch keine Gerechtigkeit erfahren und schon werden ihre Seelen in Geld getauscht.« Neang Say hat selbst fast 40 Angehörige während der vierjährigen Herrschaft Pol Pots verloren.

Im Tourismusministerium überwiegt der Stolz über jährlich wachsende Besucherzahlen – die Gefahren durch ungezügelten Massentourismus werden heruntergespielt. Ein Hotel nach dem anderen wird hochgezogen, über 80 sind es zur Zeit, im nächsten Jahr sollen es bereits über 100 sein. Siem Reap, vor wenigen Jahren noch ein verträumter Ort, ist heute nach Phnom Penh die bevölkerungsreichste Stadt des Landes. Kamen im vergangenen Jahr rund 1,6 Millionen Touristen nach Kambodscha, so rechnet das Tourismus-Ministerium für 2010 allein in Angkor Wat mit einer Million Besuchern.

Es hat nicht den Anschein, als seien die zuständigen Stellen für einen solchen Besucheransturm gewappnet. Es reicht nicht aus, dass sich das unter dem Namen Angkor Conservation wirkende Amt für Denkmalschutz um die Restauration der Tempel kümmert. Ein Gesamtkonzept fehlt, um den gesamten Tempelkomplex zu schützen. Ein erster Schritt könnte eine Steuerung und eventuell Begrenzung der Besucherzahlen sein, bei denen die Koreaner, gefolgt von den Japanern, weit an der Spitze liegen.

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