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Reinsdorf

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  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 2 Min.

Vor 125 Jahren wurden im Ergebnis eines politischen Prozesses in der berühmtberüchtigten Haftanstalt »Roter Ochse« in Halle zwei Personen »wegen Anstiftung zum Hochverrat« hingerichtet: Emil Küchler und Friedrich August Reinsdorf. Letzterer galt als Rädelsführer eines Attentats auf Kaiser Wilhelm I.

Der 1849 in Pegau, Sachsen, als ältestes Kind von 12 Kindern eines Schuhmachers Geborene hatte das Schriftsetzerhandwerk erlernt und während der anschließenden Wanderschaft die Schweiz, Frankreich, Belgien und England durchstreift. Die erlebten gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten führten ihn in die Reihen der Sozialdemokratie. Da ihn deren braver Protest jedoch nicht genug war, wurde er unter dem Einfluss von Michail Bakunin Anarchist, weshalb er 1877 aus der deutschen Sozialdemokratie als Abweichler ausgeschlossen wurde. Es gelang Reinsdorf, Gesinnungsfreunde um sich zu scharen. Er schrieb Artikel für die in London erscheinende Zeitschrift »Freiheit«, agitierte in Versammlungen, wurde polizeilich beobachtet und immer wieder ausgewiesen.

In Elberfeld-Barmen plante er 1883 eine größere Aktion, die ein Zeichen setzen sollte. Die Einweihung des Niederwalddenkmals oberhalb von Rüdesheim am Rhein mit einer über zwölf Meter hohen »Germania« schien ihm die richtige Kulisse für einen Paukenschlag. Mit Freunden traf er die Vorbereitungen für einen Spengstoffanschlag. Am 27. September 1884 begab sich der Kaiser mit seinem Fürstengefolge in 112 Kutschen auf die Denkmalshöhe und überquerte dabei auch Drainagerohre, die mit 13 Pfund Dynamit gefüllt waren. Der Anschlag schlug fehl. Die Attentäter wurden verhaftet, Reinsdorf im Hospital, wo er wegen Schwindsucht lag. Die Justiz nahm darauf keine Rücksicht. Und Reinsdorf hielt eine aufsehenerregende Verteidigungsrede: »Die Arbeiter bauen Paläste und wohnen in armseligen Hütten; sie erzeugen alles und erhalten die ganze Staatsmaschine, und doch wird für sie nichts getan ... Alles, was der Staat tut, hat allein die Tendenz, diese Verhältnisse ewig aufrecht zu erhalten... Soll dies wirklich ewig dauern? Ist eine Änderung nicht unsere Pflicht?«

1975 gab es einen Film über das Attentat. 1983 veröffentlichte Max Schütte das Buch »August Reinsdorf und die Niederwaldverschwörung«.

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