nd-aktuell.de / 30.04.2002 / Wirtschaft und Umwelt

Drei Jahre Haft für Arzt aus Celle

20 Laser-Chirurgen aus Niedersachsen sollen bei Abrechnungen betrogen haben

Uwe Ruprecht, Stade
Der Prozess gegen einen betrügerischen Chirurgen aus Celle heizt die Diskussion um das Abrechnungssystem im Gesundheitswesen an.
Skrupellose Abzockerei oder Notwehr - zwischen diesen Polen pendelt die Einschätzung dessen, was die Medien als niedersächsischen Ärzteskandal bezeichnen. 20 Chirurgen sind bei demselben Betrugsmanöver erwischt worden. Sie hatten ihren Patienten ein Glasfaserkabel, das bei Laseroperationen benötigt wird, widerrechtlich in Rechnung gestellt. Vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stade musste sich jetzt der erste von ihnen verantworten. »Wir sind in eine Lage gebracht worden, in der wir nicht anders konnten«, rechtfertigte sich der 47jährige Mediziner, der in Celle eine Tagesklinik betrieb. Er habe seinen Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen lassen wollen und sich auf Gelenkoperationen mit dem Laser spezialisiert, erklärte er. Alles lief gut - bis er im September 1997 über eine Änderung der Gebührenordnung informiert wurde. Fortan wurde nicht mehr zwischen den teureren Operationen mit dem Laser und herkömmlichen Methoden unterschieden. Der Lasereinsatz rentierte sich nicht mehr. Auf Fachkongressen machte eine »Lösung« die Runde: Stellen wir doch den Patienten das Glasfaserkabel gesondert in Rechnung. Das allein war bereits strafbar. Aber die Ärzte setzten noch eins drauf. Das Kabel war vom Hersteller als Einweg-Produkt ausgezeichnet. Zugleich jedoch bot die Firma Wannen an, in denen die Kabel nach einmaligem Gebrauch sterilisiert werden konnten. Medizinisch sei das unbedenklich, heißt es. Juristisch nicht, denn die Ärzte ließen mithin jeden Patienten erneut für ein Kabel zahlen, das schon mehrfach gebraucht worden war. Von »mafiaähnlichen Strukturen« spricht die AOK in Hannover, deren siebenköpfige Ermittlungsgruppe die Machenschaften aufdeckte. Bei den 20 Chirurgen, die man entlarvt habe, handele es sich nur »um die Spitze des Eisbergs«. Dem entspricht die Auffassung einer der Anwältinnen des Celler Chirurgen: Jeder Arzt, der Laseroperationen Kosten deckend durchführen will, werde von den Krankenkassen genötigt, sich unrechtmäßig zu verhalten. Neue Medizintechniken anzuwenden, sei zu einem wirtschaftlichen Kamikazeflug geworden. »Es ist kein Ärzteskandal«, so ein anderer Anwalt: »Was hier in der Kritik steht, sind die Kassen und das Abrechnungswesen.« Allerdings habe das Abrechnungswesen dem Celler Chirurgen »die Tat besonders leicht gemacht«, stellte der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung fest. Der Angeklagte nutzte die Schwächen des Systems noch an anderen Stellen aus. Er war finanziell an dem Betrug eines Krankentransportunternehmens beteiligt, das sich für Fahrten in einem Krankenwagen bezahlen ließ, die tatsächlich mit einem gewöhnlichen Pkw durchgeführt wurden. Ein ähnliches Arrangement bestand zwischen dem Arzt und einem Lieferanten für Sprechstundenbedarf, der Rezepte blanko bekam und für Spritzen oder Bandagen kassierte, die nur auf dem Papier existierten. Gegen eine monatliche Zahlung wurden außerdem zwei Krankengymnasten von dem Arzt mit Blankoverschreibungen versorgt. In der Anklageschrift waren noch 2300 Fälle aufgelistet worden, von denen im Urteil etliche zu einer Tathandlung zusammengefasst wurden, so dass 652 übrig blieben. Der Gesamtschaden wird auf 1,25 Millionen Euro veranschlagt. Um eine langwierige Beweisaufnahme mit hunderten von Zeugen zu vermeiden, war zwischen den Prozessbeteiligten eine »Verständigung« über die Strafe von drei Jahren Gefängnis ausgehandelt worden. Voraussetzung war das Geständnis des Angeklagten und die sofortige Zahlung von 600000 Euro Schadenswiedergutmachung.