nd-aktuell.de / 19.02.2010 / Politik / Seite 6

Werben um die Zivilgesellschaft

Bei grenzüberschreitender Zusammenarbeit sollen Bürger stärker einbezogen werden

Kay Wagner, Tournai
Franzosen und Deutsche am Rhein, Ungarn und Slowaken an der Donau, Portugiesen an ihrer nördlichen Grenze zu Spanien: In ganz unterschiedlichen Regionen Europas versuchen Menschen das, wonach Deutsche und Polen in den Städten Frankfurt an der Oder und Slubice streben. Nämlich danach, die Grenzen zwischen Staaten zu überwinden und im Alltag einen gemeinsamen Lebensraum zu bilden. Nur wie soll das gelingen?

Die Zivilgesellschaft muss für das Projekt gewonnen werden. Von dieser Erkenntnis waren alle Teilnehmer überzeugt, die Ende vergangener Woche aus verschiedenen Ecken Europas zu einer Tagung ins belgische Tournai gekommen waren. Doch scheint es schwierig zu sein, den Elan einzelner Bürger oder Vereine in Strukturen zu bringen, die sich auf Verwaltungsebene mit der grenzüberschreitenden Arbeit beschäftigen. Wie macht man das am besten? Die Tagung diente dem Erfahrungsaustausch. An Beispielen wurde gezeigt, was in den unterschiedlichen Projekten bereits unternommen wird, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in das Bewusstsein der Betroffenen zu bringen.

Sören Bollmann berichtete von den Bemühungen zwischen Frankfurt (Oder) und Slubice. »Im vergangenen Sommer haben wir eine zweitägige ›Zukunftskonferenz 2020‹ veranstaltet, an der über 500 Bürger von beiden Seiten der Oder teilnahmen«, erläuterte der Projektleiter, der für die Stadtverwaltungen in Frankfurt und Slubice das Zusammenwachsen koordiniert. In kreativen Workshops seien viele Ideen für das grenzüberschreitende Alltagsleben entstanden. Auf dieser Erfahrung wolle man aufbauen. Jedes Jahr, versicherte Bollmann in Tournai, solle künftig ein solcher Ideentag für Bürger stattfinden. Ziel sei es, in zwei Jahren an der deutsch-polnischen Grenze einen sogenannten Europäischen Verbund für Territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) zu gründen.

Im Eurodistrikt zwischen Straßburg und dem badischen Ortenau-Kreis hat man sich am 1. Februar diesen Rechtsrahmen verpasst, der 2006 von der EU für solche grenzüberschreitenden Kooperationen geschaffen wurde. Jetzt, berichtete Pascale Simon-Studer als Eurodistrikt-Referentin des Ortenau-Kreises, wolle man per Internetbefragung von den Bürgern erfahren, was sie von dieser neuen deutsch-französischen Gebietskörperschaft erwarten. Bisher habe man von offizieller Seite bereits deutsch-französische Wanderungen und Fahrradtouren, einen Solidaritätslauf für Schüler und ein jährliches Europa-Picknick organisiert. Dank einer privaten Initiative ist die zweisprachige Internetzeitung »2-Ufer« entstanden, die vor allem über Ereignisse aus der Grenzregion berichtet. »Durchschnittlich 15 000 Besucher klicken uns täglich an«, berichtete Chefredakteur Kai Littmann von einer Erfolgsgeschichte.

Reges Interesse rief das Beispiel einer Internetplattform zwischen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen und dem schwedischen Malmö hervor. Hier, erklärte Lars Whitt, hätten die Bürger die Ideen der Macher allerdings nicht angenommen, sondern sich die Plattform selbst zurechtgeschneidert. »Über Politik wollten sie sich nicht äußern, aber über solche Dinge wie: Wo gibt es in Kopenhagen ein gutes Kino? Wo in Malmö den besten Kindergarten?«, erzählte der Däne.

Äußerst erfreulich und unbürokratisch erschienen auch die Erfahrungen, die Marita Lorenzo aus der Eurocidade Chaves-Verin an der portugiesisch-spanischen Grenze vortrug. Die beiden Kommunen diesseits und jenseits der Grenze zählen zusammen weniger als 60 000 Einwohner, der Austausch sei familiär, Projektideen könnten von Bürgern auf der Straße vermittelt oder einfach im Eurocidade-Büro geäußert werden. Wert legt man vor allem auf die Jugendarbeit.

Im französisch-belgischen EVTZ Lille-Tournai-Kortrijk gibt es seit September 2009 einen Bürgerrat, der die offiziellen Entscheidungsträger des EVTZ berät. Eine Art Bürgerparlament wurde auch im ungarisch-slowakischen Ister-Granum EVTZ eingerichtet. Dagegen sprach Frédéric Duvinage als Direktor des schweizerisch-deutsch-französischen Eurodistrikts Basel von den Schwierigkeiten, die besonders französische Politiker mit einer direkten Bürgerbeteiligung hätten. »Da kann man nur schrittweise die Mentalitäten ändern.« Er verstand deshalb die Zivilgesellschaft, um die es auf der Tagung im Schwerpunkt ging, vor allem als Sammlung der wirtschaftlichen Akteure, die in seiner Region viel für das grenzüberschreitende Leben täten.

Und so kam es am Ende zu einer Diskussion, die eigentlich an den Anfang gehört hätte: Wer ist eigentlich die Zivilgesellschaft? Eine allgemeingültige Definition wurde nicht gefunden.