Bitte um Vergebung

Direktorin: Odenwaldschule hat große Schuld auf sich geladen

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Schulleitung der Odenwaldschule zeigt sich nach intensiven Gesprächen mit früheren Schülern »erschüttert und beschämt«. Sexueller Missbrauch womöglich auch in DDR-Heimen.

Heppenheim/Torgau (Agenturen/ND). Die Direktorin der Odenwaldschule in Heppenheim, Margarita Kaufmann, hat alle ehemaligen Schüler, die Opfer sexuellen Missbrauchs wurden, um Vergebung gebeten. »Die Odenwaldschule hat große Schuld auf sich geladen«, sagte sie am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Nichts könne das Leid ungeschehen machen. Seit dem vergangenen Wochenende hätten 33 ehemalige Schüler von Missbrauch berichtet.

Nach Kaufmanns Angaben haben sich zwischen 1966 und 1991 insgesamt acht Lehrkräfte sexueller Übergriffe schuldig gemacht. Die Namen der sechs noch lebenden mutmaßlichen Täter seien der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Kaufmann belastete insbesondere den früheren Schulleiter Gerold Becker. Er habe zumindest in einem Fall die Beschwerden von Schülern und Eltern nicht weiterverfolgt und stattdessen »aktiven Täterschutz« betrieben.

Auch habe er sich selbst an Kindern vergangen. Ein heute 39-jähriger ehemaliger Schüler habe sich beispielsweise bei ihr gemeldet und berichtet, dass er von Becker missbraucht worden sei. Da das Telefon im Schlafzimmer des Schulleiters stand, habe der Junge von dort aus zu Hause anrufen müssen. Da er nach diesen Telefonaten oft traurig gewesen sei, habe Becker ihn in die Arme genommen, ihn ausgezogen, im Intimbereich angefasst und sich dabei selbst befriedigt.

Kaufmann berichtete ferner von einer ehemaligen Schülerin. Diese habe erzählt, dass sie als Zehnjährige von ihrem Musiklehrer missbraucht worden sei, der sie zu »Proben« in seine Wohnung bestellt habe. Die Direktorin schilderte auch ein Gespräch mit der Mutter eines Altschülers. Diese habe ihr gebeichtet, wie sehr der Missbrauch noch immer das gesamte Familienleben belaste. So frage sie ihr Sohn immer wieder, warum sie ihn auf die Reformschule gegeben und ihn nicht besser geschützt habe. Und sie selbst frage sich, was sie falsch gemacht habe, dass ihr Sohn dem Missbrauch nicht widerstanden habe.

Die Schule wolle in den kommenden Wochen herausfinden, ob es vor 1966 und nach 1985 weitere Fälle sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule gegeben habe, ergänzte Kaufmann. Dazu sollten Altschüler ein zweites Mal angeschrieben werden.

Missbrauch in DDR nicht auszuschließen

Sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen hat es nach ersten Erkenntnissen möglicherweise auch in DDR-Spezialheimen gegeben. Nach Zeugenaussagen und Hinweisen in Akten sei es nicht auszuschließen, dass es in den Heimen zu Übergriffen gekommen sei, sagte der Projektleiter des Vereins »Geschlossener Jugendwerkhof Torgau«, Michael Wildt, am Donnerstag. Zugleich warnte er aber vor einer »hysterischen Debatte«.

Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau prüft, ob es im Kinderheim in Pretzsch bei Wittenberg Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben hat. Anlass ist die Aussage eines ehemaligen Bewohners in der »Leipziger Volkszeitung«, wonach er im Zeitraum zwischen 1969 und 1979 zusammen mit weiteren Heim-Kindern missbraucht wurde. Diese Taten seien verjährt, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, es werde aber geprüft, ob es auch Fälle gebe, die in die jüngere Zeit hineinreichen.

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