nd-aktuell.de / 29.03.2010 / Politik / Seite 13

Verhöre und 24 Stunden Bewachung

Wie die Scientology Kirche mit Aussteigern umgeht

Susann Witt-Stahl, Hamburg
Wer einmal in die Fänge der Scientology Organisation (SO) gerät, der kommt nur mit großen Mühen wieder heraus. Menschen, die einst zu den Führungskadern gehört und SO den Rücken zugekehrt haben, berichten von Einschüchterung und anderen Eingriffen in Persönlichkeitsrechte.

Ein Ausstieg aus der Scientology Kirche sei eine Leichtigkeit, werden ihre Repräsentanten nicht müde zu betonen. Eine Postkarte genüge. Die Aussagen von Menschen, die es versucht und geschafft haben, belegen aber das Gegenteil: »Sie konfrontieren den Aussteigewilligen mit einer Checkliste von Fragen, die alle nur darauf ausgerichtet sind, den Austritt als falsch darzustellen«, berichtet Hana Whitfield. Sie gehörte der Organisation von 1965 bis 1984 an und zählte zum engsten Vertrautenkreis des Gründers L. Ron Hubbard.

Ideologisch geschlossen

Die Prozedur könne mit Unterbrechungen durchaus hundert Stunden dauern, erklärt Whitfield. Fielen die Antworten nicht wie gewünscht aus, würden treu ergebene Mitglieder in den Raum geholt, um die Abtrünnigen niederzuschreien.

Hana Whitfield gehört zu einer Reihe von Experten, alle ehemalige SO-Mitglieder, die am Wochenende von der 1992 gegründeten Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Behörde für Inneres eingeladen wurden. Es ging darum, über Aussteiger-Schicksale und jüngste Entwicklungen in dem ideologisch geschlossenen SO-System zu informieren und diskutieren.

Scientology gilt hierzulande nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als antidemokratische und extremistische Organisation mit einem ausgeklügelten Repressionsapparat. Seit 1997 wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet.

Wer Scientology verlassen will, müsse mit »drastischen Konsequenzen« rechnen, sagt Amy Scobee, ehemalige SO-Spitzenmanagerin. »Eine Ausstiegserklärung bedeutet 24 Stunden Bewachung und intensive Verhöre.« Mitarbeiter müssten die immens hohen Kosten für alle Kurse, die sie erhalten haben, zurückerstatten.

Proteste gegen ARD-Film

Warum geht SO so aggressiv mit Renegaten um? »Wir kennen inkriminierte Personen der Organisation. Und die wollen unter keinen Umständen, dass etwas nach außen dringt«, erklärt Bruce Hines. Er war Angehöriger des paramilitärischen SO-Elitekaders Sea Org und führte so genannte Auditings – eine Mischung aus Verhör und Beichte – mit prominenten Mitgliedern wie Nicole Kidman durch.

Jesse Prince, ebenfalls Ex-Sea-Org-Mitglied, verweist auf den ökonomischen Schaden, den ein Imageverlust nach sich zieht und nennt den Betriebszweck der Organisation: »Viel Geld machen und noch mehr Geld machen.«

Um einen verzweifelten Ausstiegsversuch geht es auch im Spielfilm »Bis nichts mehr bleibt«, den die ARD am Mittwoch zur besten Sendezeit ausstrahlt. Er basiert auf einem realen Fall, in dem eine Familie in dem Konflikt mit der SO zerbricht. »Die gesamte Entstehungsphase unterlag strengster Geheimhaltung«, berichtet Co-Produzent Benjamin Benedict. »Keine leichte Aufgabe bei einem Film, an dessen Entstehung etwa 80 bis 100 Personen beteiligt waren.«

Aus der Führungsetage von SO Deutschland hagelt es Proteste gegen den Streifen. Die ARD habe »Kampagnen-Journalismus« betrieben, meint Jürg Stettler, Sprecher der Organisation in Deutschland. Die Ausstrahlung von »Bis nichts mehr bleibt« sei zwar juristisch nicht zu verhindern, räumt SO ein. Es soll aber eine Schadenersatzklage gegen die Stadt Hamburg als Arbeitgeberin der Arbeitsgruppe Scientology angestrengt werden. Begründung: Deren Leiterin Ursula Caberta, die die ARD beraten und Kontakte zu Aussteigern hergestellt hat, habe angeblich falsche Informationen über SO verbreitet.

Niederlage vor Gericht

Der Film sei »wunderbar«, weil er die Wahrheit abbilde, hält Caberta den Vorwürfen entgegen. Die erfahrene SO-Jägern sieht einer Klage gelassen entgegen: »Die kriegen wieder eine übergebraten«, spielt Caberta auf eine aktuelle Entscheidung vom Hamburger Verwaltungsgericht an – SO hatte unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz auf Herausgabe von personenbezogenen Daten geklagt und verloren.