Analyse, Kritik und ein paar Lösungswege

Die sozialistische Zeitschrift »Widerspruch« liefert Beiträge zur Rolle des Staates in der Krise

  • Alexander Amberger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die CDU schrieb 2005 in ihr Wahlprogramm: »Wir bauen staatliche Aufgaben ab und stärken Eigenverantwortung statt Staatsgläubigkeit.« Fünf Jahre später hat sie die Rolle des Staates neu definiert: Die Krise scheint eine Renaissance desselben nach sich zu ziehen, die Neoliberalen suspekt sein müsste. Warum aber ist sie es nicht? Und warum sollte dieser Ruf nach dem Staat Linken keinen Jubel wert sein? Diesen Fragen widmet sich die zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift »Widerspruch« aus der Schweiz in ihrer 57. Ausgabe. Es geht darum, was der Staat ist, wem er gehört, um seine Rolle in der Krise und wie eine linke emanzipatorische Bewegung ihn nutzen könnte.

Elmar Altvater benennt einleitend die (kapitalistischen) Ursachen der Krise. Einen »grünen Kapitalismus« weist er als Alternative zurück, da jener die Ursache des Systems, den kapitalistischen Wachstumszwang, nicht in Frage stelle. Stattdessen müsse ein »ökologischer Keynesianismus« unter Ägide des Staates her, der »von unten« mitgetragen werde. Leider übersieht Altvater, dass das Wachstumsproblem nicht durch einen staatsregulierten Kapitalismus gelöst wird. Letzteren selbst stellt er nämlich nicht in Frage.

Im Anschluss schreibt Henning Melber über die Staats- und Elitenproblematik im postkolonialen Afrika, bevor sich Birgit Sauer mit dem Zusammenhang von Kapitalismus und Patriarchat befasst.

Der Sozialwissenschaftler Jens Wissel dagegen widmet sich der »Aktualität materialistischer Staatstheorie«. Er outet sich als Gegner einer Staatsrenaissance, die auch von Teilen der Linken angestrebt werde. Für ihn ist der Staat für die Krise verantwortlich und nicht die Banker. Schließlich habe ersterer die Rahmenbedingungen zum Zocken erst geschaffen. Wissel sieht den Staat nicht als Instrument, dessen man sich einfach bemächtigen könne. Vielmehr sei er das Spiegelbild realer gesellschaftlicher Verhältnisse: Der Staat diene jenen, die in der Gesellschaft am mächtigsten seien. Wenn linke Keynesianer glaubten, der Staat sei in ihrem Sinne umprogrammierbar, irrten sie. Man brauche deshalb keine Re-Regulierung, sondern eine internationale radikale Gesellschaftstransformation.

Mit der Anpassungs- und Überlebensfähigkeit des Kapitalismus durch »Landnahme« beschäftigt sich der Text von Klaus Dörre. Zu dieser Theorie finden sich noch weitere Beiträge. Ein anderes Schlagwort ist der »Postneoliberalismus«. Ulrich Brand beschreibt ihn als die historisch offene Phase nach dem Neoliberalismus, in der verschiedene Zukunftsmodelle um die Nachfolge als hegemoniale Ide(ologi)en streiten. Die Linke müsse hier mit Alternativen zum Nationalstaat die Arena betreten.

Alle erwähnten Autoren kritisieren und analysieren, bieten aber kaum Lösungen. Aussagen darüber, wie die Überwindung des Neoliberalismus aussehen könnte, beschränken sich darauf, gesellschaftlichen Druck von unten zu fordern.

Hans Schäppi hingegen baut in seinem empfehlenswerten Beitrag »Auswege aus der Wirtschaftskrise« zwar ebenfalls auf die Macht von unten, liefert aber eine konkrete Strategie: Sie bezieht sich auf die Schweiz, kann aber auf Deutschland übertragen werden. In sechs Schritten soll dabei die »von oben« auferlegte neoliberale und sozialdemokratische Wachstumspolitik überwunden werden. Anschließend müsse ein Transformationsprozess hin zu einer postkapitalistischen Gesellschaft folgen, dessen Ablauf Schäppi detailliert ausformuliert.

Weitere Themen des Heftes sind die Probleme des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) mit der EU-Arbeitsmarktpolitik, die SGB-Präsident Paul Rechsteiner schildert; Paul Oehlke schaut, was die Verfassungspolitik Wolfgang Abendroths für die Linke heute noch bedeuten kann, und Wolfgang Völker widmet sich Texten aus dem Nachlass des Ökosozialisten André Gorz.

Am Ende des Heftes finden sich zudem Kongressberichte und Rezensionen mit Bezug auf gegenwärtige Widersprüche des Kapitalismus. Die Zeitschrift hält, was der Titel verspricht: Die Analysen sind unterschiedlich und widersprüchlich wie die Linke selbst, regen aber gerade dadurch zum Nachdenken an.

Widerspruch – Beiträge zu sozialistischer Politik, Heft 57, 208 S., www.widerspruch.ch

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