nd-aktuell.de / 13.04.2010 / Gesund leben / Seite 17

Für Gesunde unnötig

Orthopäde Albert Bövingloh zum Kieser Training

Albert Bövingloh
Albert Bövingloh

ND: Was halten Sie vom Kieser Training?
Bövingloh: Das Kieser Training bedient einen Markt, der auf Menschen ausgerichtet ist, die Rückenschmerzen haben und einen Weg suchen, um diese Schmerzen in den Griff zu bekommen. Das Kieser Training gefällt vielen Menschen, weil das Training zum Muskelaufbau an Geräten durchgeführt wird und so mehr einem Training im Fitnessstudio gleicht. Aus diesem Grund fällt es vielen Menschen leichter, in das Kieser-Training einzusteigen. Darüber hinaus muss nicht, wie bei der Physiotherapie, erst der Aufwand betrieben werden, sich ein Rezept vom Arzt zu besorgen.

Man soll zwei Mal die Woche eine halbe Stunde trainieren …
… mit diesen kurzen Trainingseinheiten möchte man vermutlich Menschen ansprechen, die nur wenig Zeit haben und sich zum Beispiel schwer dazu durchringen können, nach der Arbeit noch Sport oder physiotherapeutische Übungen zu machen.

Reicht die kurze Trainingszeit?
Vorausgesetzt es sind gesunde Menschen, die das Training absolvieren, ist ein Muskeltraining auf jeden Fall sinnvoller als gar nichts zu tun. Es ist eine gute, vorbeugende Maßnahme gegen Rückenleiden oder Knochenschwäche. Ein Ersatz für Bewegung im Alltag und ein rückengerechtes Verhalten kann Kieser Training aber nicht sein. Rückengerechtes Verhalten im Alltag und eine sportliche Betätigung sind langfristig wirkungsvoller.

Gibt es Kritikpunkte?
An den Geräten werden nur jeweils einzelne Muskeln oder Muskelgruppen trainiert. Außerdem ist das Gerätetraining auf die großen, größtenteils oberflächlichen Muskeln ausgerichtet. An der Lendenwirbelsäule kommen die kleinen tiefen Muskeln, die auch der Stabilisation dienen, zu kurz. Problematisch sind zudem die hohen Gewichte, die die Lendenwirbelsäule stark belasten können. Entscheidend ist auch die Position, in der die Übung gemacht wird. So sind zum Beispiel Übungen, die im Sitzen ausgeführt werden, oft für die Lendenwirbelsäule nicht gut.

Häufig trainieren die Menschen auch einfach zu viel, mit zu großen Gewichten und einer zu hohen Hebelwirkung. Das kann langfristig eine Gefahr für die Wirbelsäule sein. Schmerzen treten hierbei zum Beispiel. bei älteren und untrainierten Menschen nicht selten auf.

Wer sollte ein anderes Training als das Kieser Training machen?
Menschen, die höhergradige degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule haben, oder Menschen, die schon mal an der Wirbelsäule operiert wurden. Diese Gruppen sollten sich zumindest erst einmal mit ihrem Arzt beraten, ob Kieser Training für sie geeignet ist. Vor allem am Anfang ist gezielte Physiotherapie bei diesen Gruppen besser geeignet, eventuell kann nach einiger Zeit ergänzend Kieser Training betrieben werden.

Welches Rückentraining empfehlen sie den anderen, gesunden Leuten, die das Kieser Training machen?
Gesunde Menschen sollten aktiv leben und Sport treiben. Sie brauchen weder das Kieser Training noch andere Therapien.

Interview: biv