nd-aktuell.de / 13.04.2010 / Brandenburg / Seite 12

Mandelring

Musik – Spiegel der Biografie

Antje Rößler

Musik ist die abstrakteste unter den Künsten. Eine Gattung, die dem gemalten Selbstporträt oder dem autobiografischen Roman entspräche, gibt es im Reich der Töne nicht. Wie subtil die Zusammenhänge zwischen einem Musikstück und dem Leben seines Schöpfers sind, zeigte am Sonntag der Auftritt des Mandelring Streichquartetts im Kammermusiksaal der Philharmonie. Das Programm mit Werken von Mendelssohn und Janácek stand unter dem Titel »Spiegel der Biografie«. Das Quartett besteht aus drei Geschwistern namens Schmidt und dem Bratschisten Roland Glassl. Seit zwei Jahrzehnten treten die vier miteinander auf. In dieser Saison wagt das weltweit renommierte Streichquartett mit einem eigenen Zyklus den Schritt in die umkämpfte Berliner Klassik-Landschaft.

Der Abend begann mit dem düstersten Werk aus der Feder Mendelssohns. 1847 starb mit nur 42 Jahren dessen innig geliebte Schwester Fanny Hensel. In seinen Schmerz schuf der Komponist ein Streichquartett, das er »Requiem für Fanny« nannte. Mandelring machte das Stück zu einer ergreifenden Wehklage. In den schroffen Dissonanzen und hämmernden Rhythmen ließ es die existenzielle Verzweiflung Mendelssohns erahnen; im langsamen Satz machte sich bleierne Erschöpfung breit. Vom ersten Ton an bestachen die Musiker durch ihre perfekte Homogenität. Noch die subtilsten Phrasierungen, Akzente und dynamischen Schattierungen boten sie absolut synchron dar.

Eher widersprüchliche Empfindungen offenbart das Zweite Streichquartett des Tschechen Leoš Janácek.

Gefühlsschwankungen eines Verliebten

Der Komponist schrieb es mit 73 Jahren; Auslöser war seine Liebe zu der 38 Jahre jüngeren Kamila. Die Dame war, ebenso wie Janácek, verheiratet – das Wechselbad der Gefühle in dieser platonischen Beziehung beflügelte die Kreativität des Komponisten. Die beiden schrieben sich hunderte »Intime Briefe« – so nannte der Komponist dann das Quartett. Als Besetzung schwebte ihm statt der Bratsche die Viola d'amore vor, eine besonders zart und silbrig klingende Variante der barocken Gambe. Diese Urfassung geriet in Vergessenheit. Der Bratschist Gunter Teuffel hat sie ausgegraben und führte sie nun in Berlin gemeinsam mit drei Mandelring-Musikern auf. Die Gefühlsschwankungen eines aussichtslos Verliebten traten hier in der zerrissenen, kontrastreichen Interpretation und dem spontan anmutenden, leidenschaftlichen Duktus deutlich zutage.

Als »Spiegel der Biografie« stellen beide Quartette einen Gegensatz dar. Während Mendelssohn sein Leid in der strengen, klassischen Form gleichsam bändigt, sprengt Janáceks Leidenschaft jede Form; die Musik zerfällt ins Aphoristische. Letztendlich jedoch sind die biografischen Auslöser dafür gar nicht so wesentlich. Beide Herangehensweisen entsprechen nämlich den grundlegenden Stilen der Komponisten: Janáceks Musik ist stets von abrupten Stimmungswechseln geprägt, und Mendelssohns Klassizismus zeichnet sich generell durch die Mäßigung des Ausdrucks in einer geschlossenen Form aus.

Der Abschluss des Mandelringschen Berlin-Zyklus findet am 13. Mai statt. Verglichen werden dann verschiedene Kompositionsweisen um 1900: klassizistisch beim jungen Richard Strauss, spätromantisch bei Heinrich Kaminski und impressionistisch bei Maurice Ravel. Der Besuch sei empfohlen: Wenn das Mandelring Quartett anreist, ist nicht weniger zu erwarten als eine Sternstunde der Kammermusik.