Verletzte Männerehre

Prozess um Gewalt, Messerattacken und ungezügelte Drohungen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Allmächtige spielt in seinem Leben eine zentrale Rolle. Fünfmal am Tag betet Mohamed in der Untersuchungshaft und bittet um Vergebung seiner Schuld. »Ich wollte dir nicht weh tun«, schrieb er in einem Brief an seine einstige Freundin Jeanine. Mohamed soll, wie es in Staatsanwaltsdeutsch heißt, »versucht haben einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein«.

Der 26-jährige schmächtige, kleine Mann hatte Besitz angemeldet an einem Menschen, wollte ihn ganz für sich haben. Und wenn er seine ehemalige Lebensgefährtin Jeanine nicht besitzen konnte, dann durfte sie auch keinem anderen gehören. Sprechen will er vor Gericht nicht, mit unendlich traurigen Augen folgt er dem Geschehen im Saal.

Die Staatsanwaltschaft nennt es versuchten Totschlag. Seit zwei Jahren will sich Jeanine von ihrem Mohamed trennen, weil er gewalttätig ist, sie regelmäßig schlug und ihr drohte, sie umzubringen. Er verfolgte sie, belagerte sie am Telefon. Tag und Nacht. Er habe das Recht, so zu handeln, weil sie sich nicht wie eine anständige Frau benehme. Die zierliche 22-jährige Arbeitslose lebt bis heute in permanenter Angst.

Immer wieder versuchte sie ihm klarzumachen, dass sie beide kein Paar mehr sind. Doch suchte sie ihn auch immer wieder auf, um ihn ruhigzustellen, wie sie dem Gericht berichtete. Mohamed war nicht zu beruhigen. Jeanine würde seine Ehre verletzen, wenn sie sich mit anderen Männern zeige. Würde sie nicht zu ihm zurückkehren, würde etwas Schreckliches geschehen.

Das geschah am 24. Oktober letzten Jahres gegen 15.55 Uhr in der Voltastraße. Zwei Freunde von Jeanine standen vor Mohameds Tür, wussten, dass sie wieder einmal zu einer Aussprache bei ihm war. Als die Pforte nicht geöffnet wurde, vermuteten sie Schlimmes und traten sie ein. Doch sie fanden eine gesunde Jeanine vor, also verschwanden sie wieder. Mohamed rannte mit einem langen Küchenmesser hinterher und stach auf der Straße auf einen Freund ein. Dann stürzte er sich auf die hinzugekommene Jeanine und verletzte sie lebensgefährlich. Nur durch die schnelle medizinische Hilfe konnte ihr Leben gerettet werden. Die Wunden sind verheilt, ihr Seelenzustand ist noch immer schwer angegriffen. »Alles geschah aus Liebe«, schrieb er in dem Brief.

Sie war 14 Jahre alt, als sie den jungen Mohamed in einer netten bundesdeutschen Kleinstadt kennenlernte. Liebe auf den ersten Blick. Sie schworen sich ewige Treue. Als sie volljährig war, zog sie mit ihm nach Berlin. Damit war die Zeit der ungetrübten Liebe vorbei. Immer öfter schlug Mohamed zu, um anschließend um Verzeihung zu betteln. Es wurde immer schlimmer – bis Jeanine nicht mehr wollte und nicht mehr konnte. Zweimal zeigte sie ihn wegen seiner Gewalttaten an, zweimal zog sie die Anzeige wieder zurück.

Der von der Richterin verlesene Brief Mohameds an Jeanine sorgte noch einmal für Verwirrung im Gerichtssaal. »Meine süße Xena«, schrieb er da. »Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag. Ich vermisse dich sehr, der Gedanke an dich hält mich am Leben.« Das Gericht glaubte, es handele sich um das gemeinsame Kind der beiden. Es war aber der Hund von Jeanine, dessen Verlust Mohamed nicht verwinden kann.

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